ASPENDOS/TÜRKEI: "Tannhäuser" - WA 15. September 2012

Amphitheater von Aspendos

Amphitheater von Aspendos

Von der türkischen Riviera bei Antalya ist allenthalben auf den Touristikseiten der einschlägigen Kataloge zu lesen, und es gibt wohl nur wenige Flughäfen in Europa, die von mehr Charterflügen angesteuert werden als dieser. Die schöne und abwechslungsreiche Region am Taurusgebirge bietet aber noch ganz andere Kostbarkeiten. Darunter nimmt das antike Theater von Aspendos (Belkis), 45km von Antalya entfernt, wohl den ersten Platz ein. Nach dem Trojanischen Krieg zogen die Bewohner von Argos nach Süden und gründeten im 5. bis 4. Jahrhundert v. Chr. Aspendos. Es war neben dem direkt an der Küste liegenden Side zu Beginn des 5. Jahrhunderts die einzige Stadt, die Silbermünzen prägte. In der hellenistischen Epoche erreichten beide Städte große Blüte, von der heute noch eindrucksvolle antike Bauten und Ruinen zeugen. Um 190 v. Chr. wurde Aspendos, nachdem die Perser die Stadt mehrmals unter Kontrolle hatten, romanisiert, und von 161-169 AD erbaute der griechische Architekt Zenon unter der Herrschaft von Kaiser Marcus Aurelius das Theater von Aspendos. Es wurde von den Seldschuken im 13. Jahrhundert als Karawanserei genutzt und ist nicht zuletzt deshalb das wohl am besten erhaltene antike Theater der Römerzeit. Von der maximalen Sitzplatzkapazität von 5.000 werden heute noch 3.000 genutzt. Besonders eindrucksvoll ist die vollständig erhaltene Galerie mit 49 Rundbögen am oberen Rand der Zuschauerränge, die bei Regen als „Asyl“, um trockenen Hauptes den Darbietungen folgen zu können, sowie als Pausenraum genutzt wurde. Die Akustik des Theaters ist phänomenal, man kann es so sagen. Das wurde an diesem Abend bei Wagners „Tannhäuser“ einmal mehr unter Beweis gestellt.

Regisseur Hans-Peter Lehmann

Regisseur Hans-Peter Lehmann

Seit 1994 veranstaltet die Generaldirektion der Staatsoper und des Balletts der Türkei hier das Internationale Aspendos Opern- und Ballett Festival, welches in diesem Sommer bereits seine 19. Ausgabe erlebte, aufgeteilt auf Juni/Juli und September. Es ist das einzige Festival seiner Art in der Türkei und wartete mit einem eindrucksvollen Programm auf: „Turandot“; „Rigoletto“; „Prinz Igor“; das Ballett „Liebe und Tod“, komponiert vom türkischen Komponisten Polad Byulbyul ogly (siehe auch unter Interviews und Baku Gesangswettbewerb Oktober 2012); „La Traviata“; das Ballett „Zorba“ von M. Theodorakis; „Madame Butterfly“; „Lucia di Lammermoor“; das Ballett „Schwanensee“ und „Tannhäuser“. Es handelt sich dabei meist um Produktionen der sechs türkischen Opernhäuser, von denen bei diesem Festival die Städte Izmir mit „Turandot, Antalya mit „La Traviata“ und „Lucia di Lammermoor“, Mersin & Samsun mit „Zorba“, sowie Ankara mit „Tannhäuser“ teilnahmen.

1. Akt

1. Akt

Das Festival bemüht sich jedoch auch um eine Internationalisierung des Programms und konnte die Peking-Oper für „Madame Butterfly“, die Nationaloper von Estland für „Rigoletto“ und das Staatliche Opern- und Ballett-Theater von Ekaterinenburg für „Prinz Igor“ und „Liebe und Tod“ gewinnen. Prof. Rengim Gökmen, der Künstlerische Leiter und Direktor der Generaldirektion der Staatsoper und des Balletts der Türkei, ist der große Spiritus Mentor des gesamten türkischen Opernlebens und auch des Festivals von Aspendos. Selbst Dirigent, konnte er kurz nach dem „Tannhäuser“ mit einer festspielreifen musikalischen Wiedergabe von Carl Orffs „Carmina Burana“ begeistern. Vor 20 Jahren hatte Gökmen in Ankara den ersten „Lohengrin“ zur Aufführung gebracht.

2. Akt

2. Akt

Hans-Peter Lehmann, einst Assistent von Wieland Wagner in Bayreuth, hatte im vergangenen Jahr für die Ankara Staatsoper den „Tannhäuser“ inszeniert. Die Produktion war so erfolgreich, dass man den planmäßigen Aufführungen noch einige nachschob und sodann entschied, eine Aufführung beim Festival von Aspendos zu geben. Es war erst das zweite Mal, dass eine Wagner-Oper im antiken Theater aufgeführt wurde, nach einem „Fliegenden Holländer“ vor vielen Jahren. Die Tatsache, dass die Werke Richard Wagners in der Türkei noch nicht allzu bekannt sind und ein so spezieller und geschichtsträchtiger Aufführungsort wie das antike Theater von Aspendos legen nahe, dass mit einer Konzeption des aktualisierenden Wagnerschen Regietheaters das Stück hier nur schwer vermittelbar wäre. Das Regiekonzept von Hans-Peter Lehmann hielt sich somit eng an die Wagnerschen Vorgaben und zeigte die Geschichte von Tannhäusers existentiellem Konflikt in traditioneller Ästhetik, wobei die Zuspitzung auf die Titelfigur dramaturgisch sehr gut gelang.

2. Akt

2. Akt

Das über die drei Akte nur wenig variierende Bühnenbild von Savas Camgöz lehnte sich eng an die Optik des Theaters an und stellte eine Art rechteckige Laube in den Mittelpunkt, die szenisch zwei Spielebenen ermöglichte und in stimmungsvoll wechselnder Lichtregie (Fuat Gök) immer andere Ausdrucksformen annahm. Lehmann legte besonderen Wert auf die Darstellung der individuellen Schicksale der Protagonisten und konnte den durchgehend türkischen SängerInnen, die wenig bis gar keine Erfahrung im Wagnerfach haben, die Essenz des „Tannhäuser“ offenbar bestens vermitteln. Denn darstellerisch agierten fast alle auf hohem Niveau. Man spielte die zweite Dresdner Fassung, und dennoch ließ Lehmann zu Beginn ein ausladendes Ballett tanzen, welches von Nilgün Bilsel Demireller choreografiert wurde und in seiner Ästhetik und Figurenbildung stark an das „Tannhäuser“-Bachanal von Wieland Wagner in Bayreuth erinnerte. Die Kostüme von Savas Camgöz waren äußerst traditionell in ihrem mittelalterlichen Design und bisweilen auch allzu phantasielos in ihrer einseitig braunen Farbgebung für die Wartburg-Gesellschaft und die Pilger. Hier hätten ein paar Farbtupfer für willkommene Abwechslung sorgen können.

Pilgerchor 3. Akt

Pilgerchor 3. Akt

Ünüsan Kuloglu überraschte mit einer sehr guten stimmlichen Leistung als Tannhäuser mit einem kräftigen heldischen Tenor, der auch in der Lage ist, die vielen Zwischentöne der Partie auszuloten und mit großer Wortdeutlichkeit und guter Phrasierung zu intonieren. Darstellerisch könnte er die Rolle noch stärker akzentuieren, was mit mehr Erfahrung in diesem Fach und entsprechendem Coaching kein Problem sein sollte. Gern würde man diesen Tenor auch einmal in Europa hören, wo das Wagnerfach ja nicht gerade in tenoralem Überfluss schwelgt. Feryal Türkoglu sang die Elisabeth mit einem charaktervollen Sopran, mit dunkler Schattierung und leuchtender Tongebung in der Mittellage. Sie konnte mit der Hallenarie und mehr noch mit Elisabeths Gebet im 3. Akt überzeugen. Es stellte sich aber in den dramatischeren Phasen ein hörbares Vibrato ein, und viele Höhen geríeten etwas scharf. Mehlika Karadeniz agierte verführerisch als Venus und sang auch mit einer klangvollen Mittellage. Sie hatte jedoch ständig Probleme mit ihren oft schrill klingenden Höhen. Tuncay Kurtoglu sang einen würdigen Landgrafen mit kräftigem und höhensicherem Bass, aber bisweilen etwas rau. Der junge Ardar Akdar war ein guter, stimmlich etwas zu verhaltener Wolfram von Eschenbach. Der ebenfalls noch sehr junge Cem Beran Zertkaya sang – ganz ungewohnt in dieser Rolle – einen balsamischen Biterolf, eine sehr schöne und zukunftsträchtige Stimme. Hingegen konnte Metin Turan die stimmlichen Anforderungen des Walter von der Vogelweide kaum erfüllen. Sehr lyrisch sang und anmutig agierte Burcu Soysev als junger Hirt. Die von Tayfun Bozok einstudierten Chöre klangen besonders homogen und kräftig in den großen Tableaus des 2. Akts. Während die Pilgerchöre dezent und lyrisch aus dem Off intoniert wurden, gab es bei ihren Auftritten auf der Bühne leichte stimmliche Koordinationsschwierigkeiten.

Venus 3. Akt

Venus 3. Akt

Der GMD von Ankara, Winfried Müller, dirigierte das Staatsopern- und Ballett Orchester von Ankara versiert und begann mir einer getragenen, fast etwas pathetisch musizierten Ouvertüre, was aber gut in den Rahmen des antiken Theaters passte. Er steigerte sich dann zur gewohnten Dynamik im Vorspiel, wobei, auch im weiteren Verlauf, die guten Streicher beeindruckten. Es sollte durchaus gesagt werden, dass bis auf vier Herren die Violinen, Bratschen und Celli nur von Damen gespielt wurden! Im 1. Akt klangen die Geigen und Bratschen nicht immer ganz homogen. Man muss aber auch sagen, dass die wirklich beeindruckende Akustik des antiken Theaters auch kleinste Ungenauigkeiten schonungslos offenbart. Hervorzuheben ist noch das ausgezeichnete Harfenspiel beim Sängerkrieg sowie die gute orchestrale Dynamik und Transparenz in den großen Tableaus.

Finale 3. Akt

Finale 3. Akt

Mit dieser Aufführung fand das Opern- und Ballettprogramm des 19. Internationalen Aspendos Opern- und Ballett Festivals einen würdigen Abschluss, und das antike Theater empfahl sich für weitere Werke von Richard Wagner.

Fotos: Klaus Billand

Klaus Billand