Lübeck: Tannhäuser - NI 7. September 2014

Knallhartes Wagnersches Regietheater gut gemacht…

Tannhäuser und Venus 1.Akt

Tannhäuser und Venus 1.Akt

Nach einem sehenswerten „Ring des Nibelungen“ sowie interessanter Neuinszenierungen von „Parsifal“ und „Tristan und Isolde“ setzte das Theater Lübeck zum Auftakt der Saison 2014/15 sein erfolgreiches Projekt „Wagner-trifft-Mann“ mit einer äußerst kontroversen Neuinszenierung des „Tannhäuser“ fort. Wer den jungen Kölner Regisseur Florian Lutz ans Haus holt, muss allerdings wissen, dass jegliche Wagnersche Inszenierungs-Tradition an der Garderobe abgegeben werden muss und eine knallige zeitgenössische Interpretation ganz im Sinne des Wagnerschen Regietheater-Begriffs bevorsteht, diese aber in sich stimmig, wenn man so will, wasserdicht ist. So hatte Lutz 2008 im ostdeutschen Gera einen „Lohengrin“ als fantasievolle Kritik an den Auswirkungen der Wiedervereinigung auf Ostdeutschland inszeniert, mit einem gehörigen Schuss Sarkasmus und Humor (Merker 06/2008).

So war es auch diesmal bei seinem „Tannhäuser“ in Lübeck, den er im Einheitsbühnenraum, dem Zuschauersaal des Theaters Lübeck, von Christoph Ernst und den zeitgenössischen Kostümen von Mechthild Feuerstein unter Einbeziehung des Publikums im Haus spielen lässt. Es wird eine bissige Satire auf die diversen Sünden unserer Zeit und gewisse Eigenarten der deutschen Bundespolitik um Bundeskanzlerin Angela Merkel als Elisabeth. Man entschied sich wie meistens auch in Lübeck für die Dresdner Fassung, weil hier der ursprüngliche Tonfall noch unbeeinflusst von der ab dem „Tristan“ sich verändernden Orchesterbehandlung ist, wie es Dramaturgin Katharina Kost-Tolmein im Programmheft begründet. Gleich nach der Ouvertüre geht es erstmal los mit der Einstimmung des Publikums durch die in Chefsekretärinnen-Outfit auftretenden vier Edelknaben (Andrea Stadel, Imke Looft, Frauke Becker, Annette Hörle) auf das Thema „Sünde“, das ja im Tannhäuser angesprochen wird, und zwar anhand des Pilgerchor-Verses „Ach schwer drückt mich der Sünden Last…“ Die ständigen vokalen Unterbrechungen des musikalischen Flusses durch die Damen im 1. Akt wirken dennoch störend, allzu oberlehrerhaft und mindern die Wirkung der fünf Bühnenschauplätze, auf die Personen aus dem Publikum nach ihrer Befragung vor der Aufführung zum Thema „Sünde“ eingeladen werden. Sie hatten auf die Frage, was sie heutzutage für Sünde hielten, Völlerei, Alkohol, Geldgier, Eitelkeit und Ehebruch bzw. Gier nach Sex, das dem Venusberg von allem wohl am nächsten kommende „Vergehen“, genannt. Folglich werden ihnen auf der Bühne nun ein Restaurant, eine Bar, ein Spielcasino, ein Friseursalon und eine Go-Go-Bar geboten, in der sich das Girl an der Stange langsam aber sicher über dem immer überraschter drein schauenden und schließlich unter ihr liegenden Parkettbesucher entblättert… Eine immer skurriler anmutende Szene. Dazu überhöht Katharina Spuida mit irrwitzigen und rasenden Videospots die fünf Themen auf fantasievolle und facettenreiche, sowie bisweilen universal überhöhte Weise. Da wird dann neben lasziven string-shots auch mal eine Müllhalde in Indien sichtbar oder zur Schlachtbank gehende Rinder, ständig auf dem Feuer gewendetes Grillfleisch und ähnliches Essbares, sodass man an Luis Buñuels Film „Das Große Fressen“ denken muss. Es ist schon ganz schön krass, aber in allen Einzelheiten dramaturgisch nachvollziehbar und konsequent. Nichts wirkt hier banal gaghaft. Im Mittelpunkt dieses ungewohnten Venusbergs versucht die anmutig agierende und verführerisch singende Julia Faylenbogen als Venus vergeblich, den völligen Außenseiter Tannhäuser zum Bleiben zu bewegen. Das geht im allgemeinen Getümmel auf der Bühne fast unter…

Beim Ruf Tannhäusers „Mein Heil! Mein heil ruht in Maria!“ landen wir knallhart in der Berliner Bundespolitik, nachdem Andrea Stadel als anmutig singender junger Hirte den abrupten Szenenwechsel etwas abgefedert hat. Die Ritter um Landgraf Hermann (Bundespräsident Gauck) stellen hier bedeutende Minister aus zwei Kabinetten von Kanzlerin Merkel dar, sowie einen grünen Bundestagsabgeordneten, (Gabriel, Schäuble, Steinmeier, Westerwelle, Ströbele), die auf subtil ausgearbeitete Weise köstlich vorgeführt werden. Neben einer Aufforderung zum Schutz der deutschen Buchenwälder erleben wir mit ihnen Skurrilitäten und Spinnereien des Deutschseins unserer Tage, wie übertriebene Ordnungssucht, beispielsweise durch Müllsammlung und -trennung (i.e. Ströbele als Walther, während Westerwelle noch liebevoll ein paar Kröten rettet…). Der aus den Seitengängen des Parketts erscheinende und dahin wieder abziehende Pilgerchor züchtigt sich mit Krawattenschlägen und sammelt beim Publikum noch schnell ein paar Euro für den beschwerlichen Gang nach Rom…

Im 2. Akt kommt jedoch einen Moment authentisch wirkende Emotion auf, als Tannhäuser und Elisabeth sich nach ihrem Dialog vor geschlossenem Vorhang heftig umarmen. Politisch wird es aber sofort wieder beim Einzug der Gäste. Denn diese zeigen zu den ganz anders gedachten Zeilen Richard Wagners Transparente mit Forderungen wie Gleichberechtigung, Nachhaltigkeit, Sicherheit, Freiheit, Nächstenliebe und Gerechtigkeit. Der Sängerstreit entgleist dann aber in einer doch allzu banal wirkenden Müllsackschlacht. Tannhäuser bringt auf diese Weise zwar metaphorisch die „Heile Welt“ der Wartburg-Edlen gehörig durcheinander. Optisch war das aber etwas langatmig, doch passte es auch wieder zu diesem Regiekonzept.

Der 3. Akt ist bei Lutz der „Merkel-Akt“. Schnell wird ihre Wiederwahl durchgezogen, denn sie ist ja ohnehin „alternativlos“. Mit diesem berühmten Merkelschen Bonmot über gewisse politische Entscheidungen steigt ihr Konterfei später in den Bühnenhimmel. Merkel verabschiedet sich von ihren bundespolitischen Kollegen noch mit einem tödlichen Handschlag. Nur Wolfgang Schäuble als Wolfram im Rollstuhl kommt mit dem Leben davon. Dafür macht sie bei ihrem Abgang dann tatsächlich noch die Raute… Auch in der Realität sind ja einige ihrer einst als „junge Wilde“ bezeichneten Weggefährten sang- und klanglos von der Bühne verschwunden. Wolfram besingt statt des Abendsterns den Mercedes-Stern, der sich mit den Logos anderer deutscher Vorzeigeunternehmen am Bühnehimmel tummelt – frei nach dem Motto: Wirtschaftlich läuft eh alles bestens! Also doch alternativlos?! Für Tannhäuser bleibt in diesem realpolitischen und -wirtschaftlichen Umfeld kein Platz. Seine Rom-Erzählung verkommt – einmal mehr zum Überdruss – zur Putznummer mit dem obligaten Putzeimergefährt, und er muss die Leichen der Politiker entsorgen. So ist es nur verständlich, dass er am Ende im Alkohol scheitert – auch Venus kann daran nichts mehr ändern.

„Gibt es eine Alternative? Gibt es Erlösung?“ fragt Lutz zuletzt und fordert das Publikum zum Handeln auf. Wir sehen in Lübeck eine total unorthodoxe Interpretation, die das Publikum, welches an diesem Abend allerdings weit unter Normalsoll erschienen war und aus dem im 1. Akt auch schon mal einer „Aufhören!“, ein anderer aber auch „Lauter!“ rief, stark herausfordert und bisweilen auch überfordern kann. Thematisch und dramaturgisch ist die Interpretation von Florian Lutz jedoch genau wie sein Geraer „Lohengrin“ überzeugend durchgezogen, wobei dieses Verb die Rücksichtslosigkeit hinsichtlich traditioneller Regie-Konzepte und gar romantischer Verklärungen am besten charakterisiert.

Herbert Lippert spielt den Tannhäuser intensiv und vielschichtig, kann stimmlich aber nicht immer mit rundem Klang aufwarten. Es mangelt seinem durchaus kräftigen Tenor an Wärme und etwas auch an Resonanz. Manche Töne klingen leicht angeschliffen. Vokal und darstellerisch hervorragend agiert Julia Faylenbogen als Venus – eine echte Neuentdeckung in dieser Rolle! Es wäre eine Genuss gewesen, sie in der Pariser Fassung zu erleben, aber man wählte die 2. Dresdner Fassung, weil hier der ursprüngliche Tonfall noch unbeeinflusst von der ab dem „Tristan“ sich verändernden Orchesterbehandlung ist. So bleibt ihr im 3. Akt nur ein kurzer Auftritt von der Seite. Nach kleineren Anfangsschwierigkeiten mit der Hallenarie singt Carla Filipcic Holm prägnant und klangvoll eine auch sehr wortdeutliche Elisabeth, die nahezu perfekt auf Angela Merkel gestylt ist. Gerard Quinn als Wolfgang Schäuble im Rollstuhl ist ein balsamisch singender Wolfram. Shavleg Armasi singt den Landgraf Hermann mit einem etwas hellen Bass und guter Ansprache im 2. Akt. Daniel Jenz als Walther singt mit relativ kleiner Stimme, macht den Grünenpolitiker Ströbele aber köstlich auf dem Fahrrad und beim Mülltrennen nach… Taras Konoshchenko als Biterolf, Hjong-seok Lee als Heinrich der Schreiber und Tim Stolte als Reinmar von Zweter runden das gute Ensemble ab. Der von Joseph Feigl einstudierte Chor singt bei hoher Transparenz stimmstark beim ungewohnten Rollenprofil….

Der neue Lübecker GMD Ryusuke Numaijiri gab mit diesem „Tannhäuser“ sein Wagner-Debut am Haus und konnte das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck zu einem guten Wagner-Sound animieren, wenngleich dieser doch hinter der von seinem exzellenten Vorgänger Roman Brogli-Sacher hier erzielten musikalischen Leistung zurück blieb. Leider wurde der musikalische Fluss im 1. Akt zu sehr durch die Unterbrechungen der Edelknaben gestört. Einbrüche in die Partitur sind selten von Erfolg gekrönt, auch wenn sie sich dramaturgisch möglicherweise anbieten. Die Komponisten haben schon gewusst, was sie machen…

Fotos: Jochen Quast
(Weitere Bilder ab Mitte Oktober)

Klaus Billand