Lyon/Opéra national: Tannhäuser Premiere – 11. Oktober 2022
Die Opéra de Lyon beginnt die neue Saison mit Wagner
Opéra national de Lyon
Die Opéra national de Lyon unter der Intendanz von Richard Brunel begann ihre Spielzeit 2022/23 im mondänen, 1989 vom Architekten Jean Nouvel neugestalteten bogenförmigen Bau zwischen Saône und Rhône nach längerer Zeit wieder mit einer Wagner-Oper, dem „Tannhäuser“. Noch unter Serge Dorny hatte das Haus 2011-12 einen sehr guten „Tristan“ und einen ebenso beeindruckenden „Parsifal“ inszeniert, der später an die Met in New York ging.
Tannhäuser erwacht bei Venus
David Hermann inszenierte das Stück mit einer Assoziation an die Frau – im Venusberg – als Prototyp eines weiblichen Androiden. Damit scheint er zum Ausdruck bringen zu wollen, dass die übermenschlich Begehren auslösende Strahlkraft der Frau, einmal geweckt, etwas roboterhaft Unbegrenztes haben kann, vor dem der Mann, hier stellvertretend als Tannhäuser aus Fleisch und Blut, nach einer gewissen Zeit nur noch fliehen kann, ja muss, sich gleichwohl nach einer weiteren Zeit wieder dorthin instinkthaft, animalischen Schutz, Wärme, Geborgenheit suchend und findend, gezogen fühlt. Ein möglicherweise nicht gleich eingängiger Gedankengang, aber empirisch bisweilen durchaus nachvollziehbar…
Tannhäuser mit den Androiden
So sehen wir schon im Vorspiel starken Eindruck machend den pur nackten Körper einer modellhaften Frau, diese dann als Lichtspiel riesenhaft über der Bühne. Er wird von Fabrice Kebour inspirativ geschickt beleuchtet, reduziert sich dann aber computergesteuert nach und nach auf die rein mechanischen Komponenten des menschlichen Körpers – wird sozusagen „entsexualisiert“. Mit solch einer androiden Venus – selbstredend ohne Haare – wacht Tannhäuser auf einem absenkbaren Licht-Teller auf, offenbar von ihrer anhaltenden, einfordernden Zuneigung erschöpft. Er will nur noch weg. Und das spielt sich in der französischen Fassung, die man in Lyon endlich einmal wieder erleben konnte, viel spannender ab als in der Dresdner.
Tannhäuser in der Wüste
Der Licht-Teller faltet sich in dem Moment wie eine weiße Lotusblüte zusammen und offenbart mit seinem Umfeld eine Mars-Wüste, bei der man mit dem schmachtenden Tannhäuser in der Mitte gleich an den Film „Der englische Patient“ denkt. Die schon jetzt völlig fertigen Pilger wandeln vermummt vorbei. Einer bricht tot zusammen, trotz intensiver Wiederbelebungsversuche zunächst Tannhäusers und später der Ritter. Der Hirte ist überraschenderweise auch Android und fungiert im weiteren Verlauf offenbar als Scharnier zwischen der „Wartburg“-Welt, die de facto keine ist, und dem Venusberg im Untergrund. Passend zum Ambiente kommen die Ritter mit einem Mond/Mars-Militärfahrzeug heran. Einer geht gleich mit der Bazooka auf den vermeintlichen Feind los. Ein riesiger und außerordentlich imposant wirkender Spiegel vergrößert diese Wüste und dominiert auch das Bühnenbild im Schlussakt mit der Reflektion immer neuer und interessanter Facetten.
Dich teure Halle...
Im Mittelakt sieht man offenbar einen Militärflughafen in der Wüste mit entsprechenden flugtechnischen Installationen, wie roten Warnlampen und Scheinwerfern. Hier findet ein unkonventioneller Sängerstreit statt, mit dem Chor hinter sicheren Gittern und mit Kostümen von Bettina Walter, die eher an eine „Parsifal“-Produktion aus den sechziger Jahren an der Met erinnern, hier aber Fragen verschiedener Art aufwerfen.
Nicht ihr seid seine Richter...
Im Finale überlebt Tannhäuser, anders als bei Wagner. Es steigen sechs weibliche Androiden aus dem Venusberg-Verlies auf. Venus reicht Elisabeth, die zwischenzeitlich auch einmal unten war, wie zur Verständigung die Hand – ähnlich wie einst in Bayreuth bei Werner Herzog Venus der Elisabeth… Man kann sich unschwer vorstellen, wie das weitergeht. Das Regiekonzept ist nachvollziehbar, weist aber eine Reihe von einer nahezu regietheatralischen Ungereimtheiten auf.
Elisabeth mit Wolfram im 3. Akt
Stephen Gould, der für Simon O‘Neill einsprang, war natürlich die vokale Referenz des Abends, der wohl beste Tannhäuser der Gegenwart. Kernig farbenprächtig seine Heldentenor, vermochte er auch darstellerisch die Rolle äußerst emphatisch zu gestalten. Johanni van Oostrum war als Elisabeth zwar engagiert und auch emotional einnehmend, aber stimmlich doch eine Nummer zu klein im sonstigen Umfeld der Stimmen. Denn Christoph Pohl sang einen geschmeidig klangvollen und ausdrucksstarken Wolfram, und Liang Li war ein sowohl persönlichkeitsstarker wie stimmkräftiger Landgraf Hermann. Irène Roberts gab die Venus mit rollengemäß begrenzter Aktion, aber klangvollem Mezzo bei nicht allzu klarer Diktion.
Romerzählung
Robert Lewis als Walther, Pete Thanapat als Biterolf und Giulia Scopellitti als Hirte mit glockenreinem Sopran aus dem erst kürzlich eröffneten Opernstudio Lyon unter der Betreuung von Kirsten Schötteldreier als Vocal Coach standen mit guten Leistungen zu ersten Mal überhaupt auf der Bühne.
Schlussapplaus
Nach einem eher leichten Beginn im Vorspiel steigerte sich das Orchester der Opéra de Lyon im Laufe des Abends zu einer sehr guten Leistung unter der Stabführung von Daniele Rustioni, der auch den *Chor der Opéra de Lyon dramaturgisch bestens einband. Er kümmerte sich insbesondere um die Korrespondenz mit den Sängern, die stets mit dem Orchesterklang harmonierten. Ein guter Start in die neue Saison der Opéra de Lyon!
Fotos: Agathe Poupeney 2-8; K. Billand 1,9
Klaus Billand