Eisenach/Wartburg: Tannhäuser am 3. Oktober 2019

Wagner auf wolkigen Höh’n…

Die Wartburg

Die Wartburg

Langsam fährt das Taxi durch den herbstlichen Wald der Wartburg entgegen, und natürlich kommen mir sofort die ersten Takte der „Tannhäuser“-Ouvertüre in den Kopf. Ich schaue ungeduldig durch die Bäume neben der ansteigenden Strasse, ob sie denn endlich auftaucht ganz oben, die wunderschöne und so geschichtsträchtige mittelalterliche Wartburg. Da öffnet sich der Wald auf einmal, und sie wird frei – „Freie Gegend auf Berges Höhen“, wie es so schön im „Rheingold“ heißt, auf 411 m über Normal Null, als „Warte“ über die Gegend. Sogar das Kupferdach des sog. Pallas mit dem langgestreckten Sängersaal ist klar zu erkennen.

Wartburg im Nebel...

Wartburg im Nebel...

Oben angekommen hat das Wetter umgeschlagen, es ist neblig, und nun steht sie vor mir, fast schemenhaft beleuchtet im Nebel, mit ihrem charakteristischen Turm und dem langen Wehrgang zum Torhaus. Es ist ein erhebendes Gefühl. Nun könnte es heißen „auf wolkigen Höh’n…“. Auch wenn der berühmte „Sängerkrieg auf der Wartburg“ hier nicht stattgefunden hat – der vermögende und kunstliebende Hermann I. soll die Sänger 1207 an seinen Hof in Thüringen zu einem solchen Wettstreit eingeladen haben – so muss man als Liebhaber des Wagnerschen Oeuvres einfach einmal hier gewesen sein!

Der Sängersaal

Der Sängersaal

Und das erst recht, wenn in eben jenem Sängersaal Wagners romantische Oper „Tannhäuser“ gespielt wird. Der wundervolle Saal erhielt seine jetzige Form auch durch Mithilfe von Franz Liszt, der 1849 in Weimar die erste Produktion des „Tannhäuser“ nach der UA in Dresden leitete. Mit dezenter Ornamentik, einer akustisch sehr guten und mit viel Holz auch optisch bemerkenswerten Decke sowie mittelalterlichen Bogenelementen an den Seiten und einer fantasievoll braun-rötlichen Farbgebung zieht einen der Sängersaal unmittelbar in seinen Bann. Er erhebt das Erlebnis des „Tannhäuser“ auf einer schlichten Bühne vor dem Orchester mit einem kleinen Aufbau für Sitzgelegenheiten des Landgrafen und Elisabeths im Mittelakt in eine ungewohnte und überaus authentisch wirkende Dimension. Hier braucht man eigentlich gar kein Bühnenbild – der Saal ist das Bühnenbild!

Wolfram

Wolfram

Das Meininger Staatstheater, welches einst die meisten Musiker für Richard Wagners Festspielorchester stellte, spielt hier den „Tannhäuser“ schon seit 2002 mehrmals im Jahr, in der Regie des Intendanten Ansgar Haag, mit dramaturgischer Unterstützung von Klaus Rak. Die Aufführungen sind, wenn man es salopp sagen will, eine Art Blockbuster auf der Wartburg geworden, fast immer, wie auch dieses Mal, ausverkauft. Für die Gestaltung im Raum, besonders wichtig in diesem speziellen Falle, ist Kerstin Jacobssen verantwortlich. Sie lässt die Sänger immer wieder aus dem Mittelgang auf- und abgehen, auch die Pilgerchöre ziehen so singend langsam mitten durch das Publikum zur Bühne. Und Jacobssen positioniert den hier so wichtigen Chor auf der Galerie, der von dort oben auch wegen der Gestaltung der Decke eine ausgezeichnete Akustik erfährt.

Wolfram und Elisabeth - Schussapplaus

Wolfram und Elisabeth - Schussapplaus

Stephanie Geiger schuf für die Chöre und die Protagonisten im 1. und 3. Akt schlichte Kostüme und versah die Roben der Sänger, Landgraf Hermanns und Elisabeths mit modernistisch gestylter mittalterlicher Ornamentik. Venus bekam natürlich das tiefrote wallende Kostüm. Die Personenregie war gut und eher moderat, wenn es auch fast zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen Biterolf und Tannhäuser kam. Sehr schön war der Moment, als Elisabeth bei ihrer Klage im 3. Akt Wolfram ihr stets innig umklammertes Kreuz an einer Perlenkette übergibt – und damit wohl ihre letzte Hoffnung…

Tannhäuser mit Pilgerchor beim Schlussapplaus

Tannhäuser mit Pilgerchor beim Schlussapplaus

Brit-Tone Müllertz war als Elisabeth und auch Venus die sängerische Offenbarung des Abends. Sie verfügt über einen ausgezeichnet geführten vollen Sopran, der mit einer guten Attacke und nicht nur mit in der berühmten Hallen-Arie mit erstklassigen Spitzentönen aufwartete. Wie auch am Rande der Aufführung vernahm, soll sie wohl im neuen Bayreuther „Ring“ eine der Walküren singen. Michael Siemon konnte trotz seiner kräftigen Stimme nicht ganz auf diesem Niveau mithalten. Sein meines Erachtens immer wieder zu kraftvoll gesungener Tenor hat keine ausreichende Resonanz, sodass hier wohl technische Fragen eine Rolle spielen. Man merkte ihm die Erschöpfung nach der Rom-Erzählung an. Die baritonale Färbung seines Tenors und die gute Diktion lassen jedoch ein interessantes Potenzial erkennen, zumal er darstellerisch in den verschiedenen Ausformungen der Partie sehr beeindruckte und auch äußert engagiert spielte.

Die Harfistin

Die Harfistin

Der Koreaner Shin Taniguchi brillierte als Wolfram mit einem samtenen Bariton bei guter Resonanz, schönem Timbre und exzellenter Diktion. Eine hervorragende Besetzung dieser so wichtigen Rolle. Ernst Garstenauer als Landgraf Hermann verfügt zwar über einen voluminösen Bass mit guter Klangentwicklung. Die Stimme wirkt aber nicht allzu stabil. Er mimte jedoch einen souveränen Landgrafen. Remy Burnens als Walther von der Vogelweide überzeugt mit einer warmen und klangvollen Stimme und der kämpferische Biterolf von Tomasz Wija mit einem kraftvollen Bass. Stan Meus als Heinrich der Schreiber und Mikko Järviluoto vervollständigten das gute Ensemble der Sänger des Wettstreits.

Elisabeth beim Schlussapplaus

Elisabeth beim Schlussapplaus

Elif Aytekin sang einen lieblich klingenden Hirten. Die vier Edelknaben waren Dorothea Gerber, Cordula Rochler, Rosica Vogel und Uta Müller. Manuel Bethe hatte den stimmkräftigen Chor und Extrachor des Meininger Staatstheaters dramaturgisch akzentuiert sowie mit großer Transparenz und Wortdeutlichkedit einstudiert. Im Ensemble befinden sich auch viele Asiaten, ein weiterer Beweis für die auf fast allen europäischen Gesangswettbewerben sichtbare Entwicklung des lyrischen Gesangs in diesem Erdteil, vor allem in der Republik Südkorea und China.

Wartburg-Innenhof

Wartburg-Innenhof

Lancelot Fuhry dirigierte die Meininger Hofkapelle mit viel Verve und großer Exaktheit. Schon die Ouvertüre beeindruckte durch einen zurückhaltenden Beginn und dann immer größer werdende Dynamik. Die Hofkapelle stellte ihre große Erfahrung mit diesem Werk Richard Wagners und wohl auch anderen – ich erinnere mich heute noch gern an den Mielitz-Hrdlicka-„Ring“ in Meinigen 2001. Zumal die Sänger vor dem Orchester agierten, kam es zu einer guten Balance. Einen besonderen Eindruck machte die 1. Harfistin, die gleich rechts an der Bühne saß und ihre ganz großen Momente in 2. Akt hatte. Es gab sehr viel Applaus für alle Akteure. Ich verließ die Wartburg mit dem Gefühl, der Kunst des Bayreuther Meisters einmal ganz nahe gewesen zu sein. Das ließ auch die sehr begrenzte Gastronomie in den Pausen vergessen.

Fotos: Klaus Billand

Klaus Billand