Wien/Staatsoper: Buchpräsentation Richard Wagners Der Ring des Nibelungen – Europäische Traditionen und Paradigmen - 7. Juni 2011

Dr. Isolde Schmid-Reiter, Prof. Dr. John Deathridge, Prof. Dr. Sieghart Döring, Dominique Meyer

Dr. Isolde Schmid-Reiter, Prof. Dr. John Deathridge, Prof. Dr. Sieghart Döring, Dominique Meyer

Im Teesalon der Wiener Staatsoper fand ein Pressefrühstück anlässlich der Buchpräsentation “Richard Wagners Der Ring des Nibelungen. Europäische Traditionen und Paradigmen” (Hrsg. Isolde Schmid-Reiter) statt. Am Podium saßen Dominique Meyer, Direktor der Wiener Staatsoper; Dr. Isolde Schmid-Reiter, Generalsekretärin der Europäischen Musiktheater-Akademie – EMA; Prof. Dr. Sieghart Döhring, Präsident der EMA, und Prof. Dr. John Deathridge, Professor für Musikwissenschaft am King’s College, London. Das Buch dokumentiert eine von der EMA in Kooperation mit der Staatsoper 2009 durchgeführte Tagung zur europäischen Rezeption des „Ring des Nibelungen“.

Zum Inhalt des Buches:
Internationale Wagner-Forscher widmen sich einer differenzierten Betrachtung nationaler Traditionen und Paradigmen der Interpretations- und Aufführungsgeschichte von Wagners „Ring“-Tetralogie. In den Beiträgen rücken die mythologischen, archetypischen, implizit wie explizit politischen und allgemein-menschlichen Deutungsmuster, die die wechselvolle Auseinandersetzung mit Wagners “Ring”-Tetralogie bestimmen, in Fallbeispielen aus Osteuropa, dem Baltikum, Skandinavien, Südeuropa sowie Frankreich, England, Italien und der Schweiz sowie Österreich und – kursorisch vor allem die jüngste Vergangenheit beleuchtend – Deutschland, in den Blickpunkt. Dabei werden der komplexe Zusammenhang aus Inszenierung, ästhetischem und gesellschaftlichem Diskurs und die Verortung von Wagners Weltdrama in konkreten gesellschaftlich-politischen Kontexten zur Diskussion gestellt. Inwieweit sich gegenwärtig bei Wagners Werk Weltanschauungen verhandelt finden, wird anhand aktueller Ring-Inszenierungen im kreativen Dialog mit Theaterschaffenden hinterfragt.

Zu Wort kommen in dem Werk u.a. folgende Autoren, die unter verschiedenen Perspektiven einen Blick auf Wagners Tetralogie aus europäischer Sicht werfen: Sieghart Döring, Udo Bermbach, Sven Friedrich, Andreas Láng und Oliver Láng, Joachim Herz, Mathias Spohr, Hermann Grampp, Daniel Brandenburg, Mário Vieira de Carvalho, Susanne Vill, sowie John Deathridge, der auch einen Vortrag im Rahmen dieses Pressefrühstücks mit Fokus auf die jüngere „Ring“-Rezeption hielt.

Zu Beginn informierte Dominique Meyer, dass er in Zukunft von Zeit zu Zeit vorhabe, Bücher zum Thema Oper vorzustellen. Dabei hob er die gute Zusammenarbeit mit der EMA hervor, die bereits aus der Zeit vor seiner Direktionsübernahme in Wien datiert. Sieghart Döhring sprach die Hoffnung aus, dass diese Zusammenarbeit weiter gehen möge. Er hob angesichts der gegenwärtigen „Ring“-Hausse die Notwendigkeit hervor, einmal auf die bemerkenswerten regionalen Unterschiede in der Rezeption einzugehen, die selbst durch die nivellierenden Tendenzen von Europäisierung und Globalisierung nicht überdeckt werden. Dazu liegt nun dieses Buch vor. Es bietet in der Tat facettenreiche Einblicke in die europäische Rezeption der Tetralogie, sowohl aus inhaltlich-thematischer Sicht wie aus der Perspektive einzelner Länder.

Dr. Isolde Schmid-Reiter war damals die „Lenkerin“ der Tagung und stellte das Buch etwas detaillierter vor. Sie hatte 2006, im Anschluss an die Tagung des Europäischen Forums Alpbach im Oktober 2005 zum Thema „Teure Kunstform Oper? Musiktheater im neuen Jahrtausend – Strategien und Konzepte“ zusammen mit Manfred Jochum das damalige Tagungskompendium herausgegeben, welches interessante Einblicke in die ökonomische Aspekte der Kunstform Oper im 21. Jahrhundert aufzeigt. Sie dankte dem vorigen Staatsoperndirektor Ioan Holender für die Ermöglichung der Tagung 2009 und die Unterstützung bei der Entstehung des Buches.

Im Anschluss an den Vortrag von John Deathridge entwickelte sich am Podium eine interessante Diskussion über die gegenwärtige Aufführungspraxis und die Bedeutung der Technik in der szenischen Realisierung. Während Deathridge vor einem zu zügellosen Einsatz technischer Mittel warnte, auch unter dem Hinweis auf die gerade begonnene „Ring“-Produktion von Robert Lepage an der Met, meinte Dominique Mayer, man müsse immer mit der Entwicklung der Zeit gehen und neue Lösungen, die sich oft ganz unerwartet und manchmal mit einfachsten Mittels ergeben, zulassen. Man müsse mit den Entwicklungen der Zeit gehen – es gebe ja dauernd Neurungen, die niemand voraussehen kann. Vielleicht gebe es ja in Wien irgendwo einen jungen Künstler, der eines Tages mit einer ganz neuen Idee kommt, den „Ring“ zu machen, möglicherweise ganz ohne Requisiten, sozusagen aus dem leeren Raum heraus. In jedem Falle sei der „Ring“ auch ein Spielzeug.

Das Buch ist sicher ein Muss für all jene, die sich eingehender mit der „Ring“-Rezeption der Gegenwart befassen und Neuinszenierungen im Lichte der vielseitigen, aber meist eurozentrierten Regieansätze der letzen Jahrzehnte beurteilen wollen. Was der „Ring“-Interpretation immer noch fehlt, ist ein ernsthafter interkultureller Annäherungsversuch, der die Relevanz dieses singulären Meisterwerks der Musikgeschichte auch für die soziokulturellen Verhältnisse anderer Kulturkreise aufzeigt. Hier gibt es noch erhebliches Deutungspotenzial, welches mit der dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung in einigen Schwellenländern vielleicht in nicht zu ferner Zukunft erschlossen werden könnte.

Ref. „Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen. Europäische Traditionen und Paradigmen“, hersg. von Isolde Schmid-Reiter, 2010 ConBrio Verlagsgesellschaft, Schriften der Europäischen Musiktheater-Akademie, Band 8; ISBN 978-3-940768-16-2, 255 S.

Foto: K. Billand

Klaus Billand