Istanbul: 7. Leyla Gencer Gesangswettbewerb - 20. September 2012
Hagia Eirene Museum im Topkapi
Leyla Gencer, eine der größten Sopranistinnen des 20. Jahrhunderts, wurde in Istanbul geboren. Sie gab 1950 ihr Operndebut als Santuzza in „Cavalleria Rusticana“. In Italien debütierte sie am Teatro San Carlo von Neapel, ebenfalls mit Santuzza. Von 1957-1980 sang Leyla Gencer wichtige Rollen an der Mailänder Scala, dem Haus, dem sie fast ihr ganzes künstlerisches Leben verbunden war. Darunter waren vor allem Hauptrollen in Opern von Verdi, Bellini, Donizetti, Mozart, Monteverdi, Gluck, Tschaikowski und Britten. Dabei sang sie unter Maestri wie Vittorio Gui, Tulio Serafin, Gianandrea Gavazzeni und Ricardo Muti. Aufgrund Gencers außerordentlicher Leistungen in vergessenen Donizetti-Opern identifizierte sie die Opernliteratur später mit der „Donizetti-Renaissance“. Ihr Repertoire bestand aus 72 Rollen einschließlich Werken von Komponisten wie Monteverdi, Gluck und Mozart bis zur Neoklassik; von Cherubini, Spontini, Mayr und der Romantik zu Puccini, Prokofiev, Britten, Poulenc, Menotti und Rocca, wobei sie einen weiten Bereich vom lyrischen Sopran bis zum dramatischen Koloratursopran abdeckte.
Leyla Gencer nahm 1985 Abschied von der Oper mit Francesco Gneccos „La Prova di un’Opera Seria“ am Teatro La Fenice in Venedig, gab aber noch Konzerte und Liederabende bis 1992. Ab 1982 wirkte sie auch als Gesangslehrerin und wurde von Ricardo Muti zur Leiterin der Schule für junge Künstler an der Mailänder Scala von 1997-98 berufen. Bis zu Ihrem Tod 2008 war sie Künstlerische Direktorin der Akademie für Opernkünstler an der Mailänder Scala. Sie war eine ruhmreiche Primadonna an der Scala über 25 Jahre. Michel Parouty schrieb in Opéra Magazine: „She was the last diva of the 20th century, an embodiment of perfection“.
Seit 1995 gibt es den Leyla Gencer Gesangswettbewerb, der neben vielen anderen Aktivitäten im kulturellen Bereich in Istanbul seit 2006 von der „Istanbul Stiftung für Kultur und Künste“ (Istanbul Foundation for Culture and Arts – IKSV) betreut wird. Der Wettbewerb wird alle zwei Jahre in Zusammenarbeit mit der Fondazione Academia d’Arti e Mestieri dello Spettacolo Teatro alla Scala statt. Die IKSV unterhält auch das Leyla Gencer House, welches im 2. Stock des Nejat Eczacibasi Building im Stadtteil Beyoglu am Goldenen Horn eine detailgetreue Nachbildung ihrer Mailänder Wohnung mit all ihren privaten Dingen, Partituren, ihre Bibliothek, ihre Garderobe, Preise und Auszeichnungen sowie vieles mehr beherbergt. Der Rezensent wurde mit einigen anderen Journalisten (Opera Now, Opera Magazine, Opernwelt, Opernglas, Opera Forum und Der Neue Merker waren beim Wettbewerb vertreten), durch diese Wohnung geführt. Sie vermittelt einen wunderbaren Eindruck von der damaligen Zeit und der Bedeutung Leyla Gencers.
Tor zum Topkapi
Am 7. Leyla Gencer Gesangswettbewerb nahmen 176 junge SängerInnen im Alter von 18 bis 32 Jahren aus 42 Nationen teil, von China bis Kanada. Vorausscheidungen fanden im Mai 2012 in Berlin, London, Wien, Madrid, Mailand und Istanbul statt. Alle SängerInnen mussten für die Endrunde in Istanbul vier Opernarien und eine Solopassage aus einem Oratorium oder einer Kantate einreichen, wobei alle Werke in der Originalsprache und der Originaltonart sowie ohne Noten zu singen waren. Für die ersten drei Plätze wurden Preisgelder in Höhe von insgesamt €23.500 vergeben. Mirella Freni war die Vorsitzende der internationalen Jury, die des weiteren bestand aus: John Allison, Chefredakteur der Zeitschrift OPERA, London; Paolo Arcà, Künstlerischer Direktor der Quartetto Society, Mailand: Yekta Kara, Generalintendantin der Staatsoper und Ballett, Istanbul; Fortunato Ortombina, Künstlerischer Direktor des Teatro La Fenice, Venedig; Vincenzo Scalera, Pianist und Lehrer an der Accademia Teatro alla Scala, Mailand; und Vincenzo de Vivo, Künstlerischer Direktor der Accademia d’Arte Lirica di Osimo, Vorstandsvorsitzender des Teatro Verdi und Künstlerischer Leiter von Eurobottega.
Der Wettbewerb endete mit dem Finale und der Zeremonie der Preisverleihung im Hagia Eirene Museum im Topkapi am 20. September. Die neun Finalisten wurden vom Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Pietro Mianiti begleitet.
Die Internationalität der Finalisten war mit nur einer Südkoreanerin (Mezzosopran), einem türkischen Bariton, einem kasachischen Tenor, sowie einer US-Amerikanerin, Ägypterin, Brasilianerin, Russin, Rumänin (alle Sopran) und einer Mezzo-Sopranistin aus Italien weitaus größer als jene beim 61. ARD Gesangswettbewerb wenige Tage zuvor, wo allein vier SüdkoreanerInnen unter sieben FinalistInnen standen (siehe auch Bericht weiter unten). Die stimmliche Qualität kam bis auf einige Ausnahmen jedoch nicht ganz an jene des ARD Wettbewerbs heran. Grosse Einigkeit herrschte, dass die junge Fatma Said aus Ägypten mit ihrer stimmlich und auch darstellerisch beeindruckenden Arie der Manon aus „Manon Lescaut“ von Massenet „Je marche sur tous les chemins… Obeissons, quand leur voix appelle“ den 1. Preis gewann, und zudem auch noch den Doğuş Group Publikumspreis. Den 2. Preis erhielt – nicht ganz erwartet – die brasilianische Sopranistin Ludmilla Bauerfeldt mit der Arie der Lucia „Regnava nel silenzio… Quando rapita en estasi“ und den 3. Preis – ebenfalls nicht ganz erwartet – die US-amerikanische Sopranistin Jessica Rose Cambio für ihre Arie aus Leoncavallos „I Pagliacci“ „Qual fiamma… Stridono lassú“.
Der Rezensent hatte eher die Rumänin Irina Iona Baiant auf der Liste, die mit ihrem leuchtenden und bestens intonierenden Sopran und einer romantisch gefühlvollen Interpretation von Korngolds „Glück, das mir verblieb…“ aus „Die Tote Stadt“ verzauberte. Sie gewann immerhin den Spezialpreis der Accademia del Teatro alla Scala, ein neu eingeführter Preis, der ein dreimonatiges Stipendium beinhaltet. Sehr begabt erschien dem Rezensenten auch die italienische Mezzo-Sopranistin Valeria Tornatore, die die Arie „Parto, parto, ma tu bien mio“ aus Mozarts „La Clemenza di Tito“ mit einem klangvollen Timbre, viel Ausdruck und allenfalls leicht flüchtigen Koloraturen vortrug. Ebenso konnte die junge Russin Kristina Bikmaeva mit der Arie aus “Don Pasquale” „Quel quardo il cavaliere… So anch’io la virtù magica“ mit ihrem durchschlagskräftigen und leuchtend timbrierten Sopran überzeugen. Der türkische Bariton Caner Akgün, die südkoreanische Mezzo-Sopranistin Shin Je Bang und der kasachische Tenor Medet Chotabayev, der zwar eine kräftige und gut geführte Stimme hat, aber keinerlei Italianità, fielen gegen dieses Niveau etwas ab. Einmal mehr machte sich wie schon im ARD Gesangswettbewerb also das Fehlen der Tenöre bemerkbar, und ebenso wie in München war auch in Istanbul nichts von Wagner und Richard Strauss zu hören…
Fotos: Klaus Billand
Klaus Billand