München: 67. Internationaler Musikwettbewerb der ARD München - Gesangswettbewerb vom 3. bis 12. September 2018 - Finale 12. September 2018
Erstaunlich guter Sängernachwuchs!
Das Ausstellungs-Plakat
Nun ist er wieder mal entschieden, der Gesangswettbewerb der 67. Ausgabe des seit 1952 ausgetragenen Internationalen Musikwettbewerbs der ARD München, der dieses Jahr auch die Fächer Viola, Trompete und Klaviertrio umfasste.
Im Gesangswettbewerb gewannen im Finale am 12. September folgende Sängerinnen und Sänger:
1. Preis: Natalya Boeva, Russland, Mezzosopran
2. Preis: Milan Siljanov, Schweiz, Bass
3. Preis: Ylva Sofia Stenberg, Schweden, Sopran
Mingjie Lei, China, Tenor
Publikumspreis: Milan Siljanov
Natalya Boeva
Die aus Sankt Petersburg stammende Natalya Boeva fiel schon in der Vorrunde beim Monolog der Charlotte aus „Werther“ mit ihrem klang- und charaktervollen Mezzo auf, dem sie bei bester Diktion auch viel Ausdruck verlieh. Man konnte umgehend merken, dass hier eine talentierte Opernsängerin auf der Bühne stand, die mit Mozarts „Abendempfindung“ auch bemerkenswerte Lied-Kompetenz an den Tag legte. Im Semifinale glänzte sie neben Händels „But who may abide“ mit einem energisch und mit hoher Musikalität vorgetragenen Komponisten aus „Ariadne auf Naxos“. Hier konnten ihre kräftige Höhe und klangvolle Tiefe beeindrucken. Im Finale zeigten „Es ist vollbracht“ aus der Johannes-Passion ihr perfektes Deutsch und in Brittens „Give him this orchid“ aus „The Rape of Lucretia“ einmal mehr ihr leuchtendes Timbre sowie die Fähigkeit zu melancholischem Ausdruck in der Darbietung. Schließlich riss sie das Publikum mit einem fulminant gesungenen „O don fatale, o don crudel“ der Eboli aus „Don Carlos“ mit. Ich glaube, das war der 1. Preis!
Natalya Boeva hat in Sankt Petersburg am staatlichen Rimsky-Korsakov-Konservatorium und an der Ekida Universität studiert und mit einem Bachelor in Chorleitung und Gesang abgeschlossen. Laut Augsburger Zeitung vom 12.9.2018 debutierte sie als Dorabella und trat am Staatlichen Musiktheater Zazerkalie in Sankt Petersburg als Angelina in Rossinis „Cenerentola“ auf, sowie als Noahs Frau in Brittens „Noahs Flut“. In der Sankt Petersburger Eremitage gab sie ihr Debut als Judith in „Herzogs Blaubarts Burg“ und sang beim Rossini Opera Festival in Pesaro die Maddalena in „Il viaggio a Reims“. Boeva ist ab dieser Saison am Staatstheater Augsburg engagiert, wo sie am 16. September als Preziosilla in „La forza del destino“ debutieren wird.
Milan Siljanov im Semifinale im Prinzregenten-Theater
Der 30-jährige Schweizer Milan Siljanov konnte schon in der Vorrunde das Publikum mit einer emphatisch gesungenen Registerarie „Madamia, il catalogo è questo“ des Leporello aus „Don Giovanni“ mitreißen, die er kraftvoll, mit guter Resonanz und bestechendem darstellerischem Ausdruck sang. In Gounods „Vous qui faites l’endormie“ aus „Faust“ konnte er dazu seine gute Diktion auch in Französisch unter Beweis stellen. Schon bei diesen beiden Nummern wurde klar, dass er ganz weit kommen würde. Im Semifinale ließ sein „Ni sna, ni otdikha“ des Igor aus Borodins „Fürst Igor“ erkennen, dass noch etwas an der Tiefe gearbeitet werden könnte. Sein Auftritt des Torero aus „Carmen“ und die berühmte Arie „Ella giammai m’amò“ des König Philipp II aus „Don Carlos“ machten jedoch klar, dass Siljanov sich für höhere Weihen empfahl. Großer Publikumszuspruch, der auch im Publikumspreis für ihn resultierte. Man kann ihm durchaus auch einen gewissen Mut bescheinigen, ausgerechnet die große Arie des Philipp zu singen, da Matti Salminen, der sie erst vor wenigen Jahren noch in Salzburg interpretierte, in der Jury saß… Seit 2016 singt Siljanov vornehmlich an der Bayerischen Staatsoper und zuletzt bei den Münchner Opernfestspielen kleine Rollen seines Fachs, u.a. den Nachtwächter in Wagners „Meistersingern“.
Finalistin Ylva Sofia Stenberg
Die vergleichsweise junge Schwedin Ylva Sofia Stenberg, die scheinbar noch keine professionellen Engagements hatte, konnte mit einem agilen und facettenreichen Sopran überzeugen. Schon in der Vorrunde bewies sie mit der Arie „O luce di quest’anima“ aus Donizettis „Linda di Chamonix“ ihre großartige Technik und gute Höhe. Mit „Zerfließe, mein Herze“ aus der Johannes-Passion sowie der Arie der Norina „Quel guardo il cavaliere“ aus Donizettis „Don Pasquale“ konnte sie ihre gute Technik und Stimmführung, die ihr auch lange klangvolle Bögen erlaubt, dokumentieren und bestach durch eine einnehmende Mimik, die sie für das Opernsingen qualifiziert. Einen guten Eindruck hinterließ im Finale ihre Arie der Cunegonde aus Bernsteins „Candide“ „Glitter and be gay“, mit der sie Koloraturfähigkeit und große stimmliche Dynamik sowie Ausdruck unter Beweis stellte.
Finalist Mingjiei Lei
Der ebenfalls noch junge Chinese Mingjie Lei ließ in der Vorrunde mit der Arie des Ferrando aus „Così fan tutte“ „Un‘ aura amorosa“ gute Technik und Stimmführung erkennen. Sein „O blonde Cérès“ aus Berlioz‘ „Les Troyens“ dokumentierte bei großer Ruhe sein klangvolles und baritonal unterlegtes Timbre. Im Semifiale trug er lyrisch zart das „Spirto gentil“ des Fernando aus Donizettis „La Favorita“ mit ansprechender Höhe vor, neben einem gefühlvoll gesungenen Monolog des Flamand aus R. Strauss‘ „Capriccio“ „Kein Andres, das mir so am Herzen loht“. Im Finale jedoch wählte er mit einer Stimme, die mit „Unis dès la plus tendre enfance“ des Pylades aus Glucks „Iphigénie en Tauride“ und Mozarts „Ich baue ganz auf deine Stärke“ des Belmonte aus „Die Entführung aus dem Serail“ eher eine Eignung für das Barockfach zeigt, mit der Arie „Ah! Mes amis…“ des Tonio aus Donizettis „La fille du Régiment“ ein Stück, das offenbar nicht gerade zu seiner Stimme passt. Lei singt seit 2015 in kleinen Rollen auch schon professionell, zuletzt als Ferrando an der Staatsoper Stuttgart.
Die Jury
Die Jury setzte sich wie folgt zusammen: Dame Ann Murray (Vorsitz); Laura Aikin, John Mark Ainsley, Bernarda Fink, Michael Nagy, Gerhild Romberger und Matti Salminen. Es wurde damit sinnvollerweise besonderer Wert auf die sängerische Aktivität einer bedeutenden Zahl der Jury-Mitglieder gelegt.
Der Herkulesaal mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Andriy Yurkevych
Der ARD-Musikwettbewerb ist einer der größten und renommiertesten Wettbewerbe für klassische Musik weltweit. Auch in diesem Jahr nahmen Kandidaten aus allen Kontinenten teil, im Fach Gesang waren es nach zwei Absagen insgesamt 58. Alle Runden waren öffentlich und erfreuten sich sehr großen Publikumszuspruchs. Der Herkulessaal in der Münchner Residenz, in dem das Finale von jeweils zwei Sängerinnen und Sängern am 12. September stattfand, war auch trotz Eintrittspreisen (die ersten beiden Runden, fünf Termine, waren eintrittsfrei) fast völlig besetzt.
Sowohl im Semifinale, das im Prinzregententheater stattfand, wie im Finale dirigierte Andriy Yurkevych, Musikdirektor am Teatr Wielki in Warschau, das Münchner Rundfunkorchester. Sowohl er wie das Orchester insgesamt waren erfahrene und einfühlsame Begleiter der jungen Sängerinnen und Sänger und konnten auch orchestral einige Glanzpunkte setzten.
herkules
Natalya Boeva im Finale
Einige große Sängerkarrieren nahmen beim ARD-Gesangswettbewerb ihren Ausgang, so unter anderen jene von Jessye Norman 1968, Francisco Araiza und Thomas Quasthoff. Interessant ist, dass der ARD-Wettbewerb auch eine Vorgeschichte hat. Beim 1947-1950 vom Frankfurter Rundfunk ausgetragenen „Wettbewerb für junge Solisten“ wurden gleich zu Beginn zwei dann bald zur internationalen Elite gehörende Frauenstimmen entdeckt, Christa Ludwig und Erika Köth! Seit 2001 wird durch die Vergabe von Kompositionsaufträgen an prominente Komponisten auch die zeitgenössische Musik gestärkt. Diesmal war es die Auftragskomposition „Zwei Grabschriften upon Epitaphs by Nelly Sachs“ mit den Sätzen II – „Die Malerin“ und III – „Der Besiegte“, von Stefano Gervasoni (geb. 1962). Sie wurde durch die Ernst von Siemens Musikstiftung finanziert.
Für das Fach Gesang wurden Sänger der Jahrgänge 1986 bis 1998 zugelassen, eine m.E. recht weit gefasste Bandbreite. Es gab 264 Bewerbungen, von denen nach einer Vorauswahl über Tonträger 80 eingeladen wurden und eben 58 letztlich teilnahmen. Auffallend war wieder der hohe und damit auch höchste Anteil der Teilnehmer aus Südkorea mit 17, die so über 28% der Kandidaten stellten, was sicher mit der intensiven Musikerziehung in diesem Land zusammen hängt. Anders als oftmals zuvor kam aber niemand von ihnen ins Finale. Auffallend ist auch, dass es nur einen Kandidaten, einen Countertenor, aus Italien gab. Wo bleibt der sängerische Nachwuchs aus dem Mutterland der Oper?! Auch aus Skandinavien nahm weniger als eine Handvoll teil und aus Österreich und Frankreich gar nur jeweils einer bzw. eine! Dafür war Deutschland recht gut vertreten.
Wenn man in der Ausschreibung liest, dass die Einladung zu diesem Wettbewerb sich an junge Musiker richtet, die bereit sind, eine internationale Karriere anzutreten, so ist doch kritisch anzumerken, dass die an kein weiteres Qualifikationskriterium gebundene Alters-Bandbreite von 20 bis 32 Jahren zu weit gefasst ist. Es war beispielsweise ein weißrussischer Kandidat darunter, der mit über 32 schon seit 2014 regelmäßig international singt, beispielsweise den Monterone oder den Bartolo und im November im „Ring“ an der Hamburgischen Staatsoper gar den Fafner. Wenn man nun beispielsweise eine viel jüngere hoffnungsvolle Sopranistin hört, die am Abschluss ihrer Studien oder kurz danach steht, aber noch nicht professional auftritt, dann erscheint die gleichberechtigte Teilnahme eines solchen schon weit fortgeschrittenen Kandidaten zumindest diskussionswürdig. Er oder sie schneiden den jungen Nachwuchssängern, die man mit dem Wettbewerb ja gerade entdecken will, die Gewinn- und damit Profilierungschancen ab. Vielleicht sollte man den Wettbewerb doch zeitlich in zwei 6-jährige Perioden oder in zwei Kategorien für die Fortgeschrittenen und die erst noch Beginnenden aufteilen. Das erschiene mir adäquater als die derzeitige Lösung, die das angestrebte Ziel des Wettbewerbs beim Gesang nur suboptimal angeht.
Fotos: Daniel Delang; Klaus Billand: 1,3,7
Klaus Billand