VENEDIG/La Fenice: "Simon Boccanegra" - Saison-Premiere 22. November 2014

Großer Glanz im Mutterland der Oper…

Der Phoenix...

Der Phoenix...

Welche Saison-Premiere im legendären Teatro La Fenice, selbst vor Jahren wie der Phoenix aus der Asche seines Originals nach einem Großbrand wieder auferstanden, ließe sich besser an, als Giuseppes Verdis „Simon Boccanegra“, mal grade etwa 700 Meter vom Dogenpalast von Venedig entfernt, dessen integralen Bestandteil der Patria Italiana der Doge Boccanegra in der großen Ratssitzung im Palazzo degli Abati in Genua beschwört?!

Eingang des Fenice

Eingang des Fenice

Glanzvoll ist eine Saison-Premiere am Fenice allemal! Übrigens erlebte der Polit-Thriller des großen Meisters hier seine UA am 12. März 1857 (prima rappresentazione assoluta – im Archiv des Fenice liegt noch der Original-Programmzettel!). Das Blitzlicht-Gewitter hob etwa um 17:40 Uhr an mit der Ankunft der ersten Prominenten und jenen, die sich dafür halten. Wenn es so schön ist, warum nicht gleich eine Doppel-Premiere, eine Doppia Inaugurazione? Tags drauf gab es gleich noch „La Traviata“ als Inaugurazione 2.

Boccanegra mit Amelia

Boccanegra mit Amelia

Zumindest mit dem „Boccanegra“ in der Inszenierung von Andrea De Rosa, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnete, und unter der exzellenten Stabführung von Myung-Whun Chung, hat sich das Fenice und damit das stolze Venedig – noch in der letzen Woche von furchtbaren Regenfluten heimgesucht – eindrucksvoll in der geschundenen italienischen Opernszene für die Stagione lirica 2014-15 zurück gemeldet. Die Inszenierung läuft als Koproduktion mit dem Teatro Carlo Felice in Genua, sodass beide Städte und Einflusssphären, um die es in „Simon Boccanegra“ geht, vertreten sind. Es war ein Abend mit absolutem Festspielniveau, in nahezu allen Belangen, begonnen mit dem Orchester.

Boccanegra und Fiesco

Boccanegra und Fiesco

Myung-Whun Chung animierte mit souveräner, ruhiger Hand vor der geschlossenen Partitur das Orchester des Teatro Fenice zu einer expressiven Gestaltung der dramatischen Ereignisse auf der Bühne, die an Prägnanz, Klarheit und Transparenz keine Wünsche offen ließ. Die eindrucksvolle und streckenweise mitreißende Dynamik, bei aller Feinzeichnung der lyrischen Momente, insbesondere in den Szenen zwischen Vater und Tochter und mit ihrem Liebhaber, brachte Chung auch großen Auftrittsapplaus nach der Pause zum 2. Akt. Dabei agierte er stets äußerst sängerfreundlich. Sechs Kontrabässe und acht Celli sorgten mit den herrlich rund und geschlossen klingenden Violinen und Bratschen für einen großartigen Streichersatz, während die Hörner nach der Ansage des Capitano „Cittadini!“ warmen kollektiven Wohlklang verbreiteten. Chung brachte bei aller Klangentfaltung auch überzeugend die erzählerische Komponente der Partitur zum Tragen, womit Musik und Drama auf der Bühne in ein Ganzes verschmolzen. Bei dieser Art der musikalischen Interpretation – das Wagnerschen Gesamtkunstwerk schien hier nicht weit – kann auch ein überzeugter Liebhaber der Musik des Bayreuther Meisters schwach werden…

Boccanegra

Boccanegra

Andrea De Rosa stellt in seinem Regiekonzept das Menschliche klar in den Vordergrund, die familiäre Sphäre um den Korsaren, der vom Meer kommt, unerwartet und gegen den Willen vieler Doge von Genua wird. De Rosa zeigt ihn aber in erster Linie als Vater der wieder gewonnenen Tochter und in seinem Leiden um den Verlust von Maria. Letzteres mit einem ganz schlichten Bild im Prolog – lediglich eine Madonnenstatue mit ein paar Kerzen ist zu sehen. Des Dogen ganzes Handeln scheint unter diesem Stern zu stehen, unter dem Stern der Liebe und Menschlichkeit.

Das Meer...

Das Meer...

Das Meer wird in prinzipiell minimalistisch abstrakten Bühnenbildern mit teils klassischer, teils modernistischer Optik, immer wieder im Hintergrund sichtbar. Dazu hat das Regieteam Filmaufnahmen in Ligurien machen lassen. Diese Szenerie mit dem fernen Horizont hat etwas Mystisches, Überhöhendes, an die Heldentaten des Korsaren Erinnerndes – immer wenn die wogenden Wellen des Meeres sichtbar werden. Die geschmacksicheren, eher traditionell gehaltenen Kostüme von Alessandro Lai passen bestens in diese Bilder. Die Lichtregie von Pasquale Mari setzt stimmungsvolle Akzente und hebt die Schicksalhaftigkeit der entsprechenden Szenen eindrucksvoll hervor. Mari war auch für die sich stets im Rahmen des optischen Gesamtkunstwerks haltenden Videos verantwortlich.

De Rosas Bühnenvision...

De Rosas Bühnenvision...

Der erst 29-jährige Veroneser Simone Piazzola ist ein bewegender, sowohl Respekt gebietender wie charismatischer und einfühlsamer Boccanegra. Er hat vor allem in Italien, aber auch international u.a. in Spanien, Israel und Brasilien große Rollen seines Fachs gesungen. Sein warm und voll klingender Bariton mit virilem Timbre spricht in jeder Lage bestens an, und er weiß bei guter Diktion mit viel darstellerischem Ausdruck zu phrasieren. Berührend gelingt die Erkennungsszene mit seiner Tochter. Sein Widersacher an diesem Abend ist der Florentiner Giacomo Prestia als ausdrucksstarker alter Jacopo Fiesco. Sein Bass ist nach all den Jahren seiner großen Erfahrung im italienischen Fach und nicht nur in dieser Rolle weiterhin bestens in Takt. Die Auseinandersetzungen der beiden Männer gehörten bis zum Finale zu den stärksten Momenten dieser Premiere.

Die Gerichts-Szene

Die Gerichts-Szene

Der auch in Wien schon als Gabriele Adorno aufgetretene Francesco Meli beeindruckt mit seinem strahlenden, in der Höhe etwas hellen, aber gut geführten, kraftvollen Tenor. Seine große Arie „O inferno! Amelia qui! …“ zu Beginn des 2. Akts mit gutem Ausdruck, strahlender Höhe sowie spontanem Szenenapplaus war ein Höhepunkt des Abends. Meli hat sowohl eine gute Attacke wie auch die Fähigkeit zu berührendem Legato. Ebenso kann die junge Maria Agresta, die erst 2007 debutiert hat, überzeugen. Sie gewann die Herzen des Publikums im Fluge schon mit ihrer Auftrittsarie im 1. Akt „Come in quest’ora bruna sorridon gli astri e il mare!“, bei der sie facettenreiche Stimmfarben sowie auch eine gute Attacke präsentiert, von einer leicht abgedunkelten Mittellage bis zu klangvoll runden Höhen. Auch darstellerisch mit einer etwas verinnerlichten Interpretation hinterlässt Agresta starken Eindruck. Das folgende Duett mit Meli ist ebenfalls ein Hörgenuss.

Das Ende des Korsaren...

Das Ende des Korsaren...

Der Südkoreaner Julian Kim aus Seoul gibt einen starken Paolo Albiani, und zwar nicht nur stimmlich mit seinem exzellent artikulierenden, prägnanten und total höhensicheren Bariton, sondern auch mit einer das Böse seines Charakters nachdrücklich hervorhebend. Er arbeitet bereits seit einiger Zeit mit Myung-Whun Chung zusammen. Wieder einmal können die Koreaner durch Kim beweisen, welch gute Stimmen dieses Land für die Oper hervorbringt. Er sang übrigens in Seoul auch schon einmal den Donner in Wagners „Rheingold“…

Finale

Finale

Selbst alle Nebenrollen waren an diesem Abend, der auch stimmlich Festspielreife hatte, bestens besetzt. So der Pietro mit Luca dall’Amico, der Capitano mit Roberto Menegazzo, und die Ancella di Amelia mit Francesca Poropat. Der von Claudio Marino Moretti bestens einstudierte Chor des Teatro Fenice sang differenziert und das dramatische Geschehen effektvoll unterstützend, auch was die ausgefeilte Choreografie angeht.

Schlussapplaus

Schlussapplaus

Dieser erstklassige Abend im Fenice hat eindeutig gezeigt, wozu das Mutterland der Oper fähig ist, wenn alle Komponenten stimmen, insbesondere vor dem Hintergrund der jüngeren Entwicklungen am Teatro dell’Opera in Rom… Es geht doch noch, und zwar sehr gut! Einige dieser Sänger würde man gern mal (wieder) in Wien hören. Dass auch in Venedig nicht alles zum Besten steht, offenbarte ein Flugblatt, das einige Aktivisten aus der Galerie in großer Zahl in einer Lichtpause auf das Parkettpublikum hinunter warfen. Man fordert mehr soziale Dienstleistungen, insbesondere im Bildungsbereich, saubere Luft, d.h. die großen Kreuzfahrtschiffe sollen endlich aus Stadt und Lagune verschwinden. Und man beruft sich auf die eigene Kraft, die Geschicke der einzigartigen Stadt in die Hände zu nehmen. Das gilt wohl auch für das ganze wunderschöne und kulturell so vielseitige Land am Mittelmeer. Der Saaldienst bemühte sich eiligst, in der Pause alle Blätter einzusammeln…

Fotos 3-10: Michele Crosera
Fotos 1-2, 11: Klaus Billand

Klaus Billand

Giuseppe Verdi

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