Ekaterinburg/Russland: Turandot Pr. - 13. September 2018
Klassisches China
Ankündigungsplakat
Nach der eindrucksvollen Trilogie von „Satyagraha“ von Ph. Glass, „Die Passagierin“ von M. Weinberg und „The Greek Passion“ von B. Martinu in den letzen Jahren widmete sich das Akademische Opern- und Ballett Theater (kurz Uraloper) im westsibirischen Ekaterinburg nun der Neuinszenierung eines Klassikers von Giacomo Puccini. Dessen große Choroper „Turandot“ erlebte am 13. September durch den jungen Regisseur Jean-Romain Vesperini in den Bühnenbildern und den ebenso fantasievollen wie opulenten Kostümen von Dirk Hofacker ihre Premiere vor einem begeisterten und überwiegend jungen Publikum. Für das Lichtdesign zeichnete Christophe Chaupin und für die Videos Ilya Shusharova verantwortlich. Der Ekaterinburger GMD Oliver von Dohnányi dirigierte das Orchester der Uraloper. Man sang auf Italienisch und spielte die von Franco Alfano vollendete Fassung.
Uraloper
Vesperini, der den Ekaterinburgern durch eine ansprechende „Bohème“ am Moskauer Bolschoi-Theater aufgefallen war und nun erst seine zweite Oper inszenierte, wählte in Ekaterinburg ein traditionelles Regiekonzept. Wie so oft betonte es die klassischen Symbole chinesischer Kultur wie den Drachen, die berühmten Fächer und die traditionellen chinesischen Farben Gold und Rot. Dirk Hofacker baute ein dramaturgisch sinnvoll eingesetztes und immer wieder nach hinten rotierendes Bühnenbild aus zwei Stockwerken – Bambus ist wie oft in China wesentlicher Teil der Konstruktion. Dieses aufgespaltene Rondell ermöglicht Auftritte auf zwei Ebenen. Natürlich ist das gemeine Volk unten im Parterre, während oben die Herrschenden ihre Macht erkennen lassen. Wenn die beiden Hälften nach hinten gleiten, wird eine Scheibe sichtbar, die zentrale Spielfläche.
Saal der Uraloper
Im ersten Bild sieht man gleich einen riesigen Blutmond, der deutungsschwanger das Kommende ahnen lässt und langsam heller wird, sodass man schließlich sogar den Krater Tycho gut erkennen kann. Zwei allegorisch gestaltete Tänzer treten vor dem Volk auf und sorgen für eine gewisse mystische Überhöhung der kommenden Handlung. Der erste Auftritt des tatsächlich ausgezeichneten und äußerst stimmstarken Chores mit über 65 Sängern, von Elvira Gaifullina einstudiert, erntet Szenenapplaus! Später, wenn es etwas ruhiger geworden ist und Calaf mit Timur und Liu auf der Bühne sichtbar geworden sind, beeindruckt auch der transparent singende Damen- und Kinderchor, der aber leider nicht zu sehen war. Dass „Turandot“ vor allem eine große Choroper ist, konnte die Uraloper an diesem Abend wahrlich beweisen.
Ping, Pang und Pong
Im 2. Akt können zunächst Ping, Pang und Pong nicht nur stimmlich, sondern auch mit eindrucksvollen Kostümen beeindrucken, sowie mit einer guten Choreografie. Die drei Damen, die Calaf von Turandot abbringen sollen, kommen natürlich, wie könnte es hier anders sein, sehr züchtig daher. Kein Wunder, dass diese Nummer nicht zieht… Im Hintergrund sehen wir eine typisch chinesische Meereslandschaft, während wir oben Kaiser Altoum gewahren, natürlich auf einem Thron aus purem Gold. Der wird sicher 10.000 Jahre halten. Turandot erscheint mystisch verklärt mit tollem Kopfschmuck. Sofort entsteht eine große Spannung auf der Bühne.
Calaf bei den Fragen
Im 3. Akt beherrschen die chinesischen Drachen am Plafond die Szenerie, die mit transparenten Tüchern verschleiert ist, in denen Calaf seine berühmte Arie singt. Sie sollen wohl die Schleier des Morgengrauenes andeuten, die sich dann auch langsam lüften. Die Videos von Ilya Susharova erweisen sich als interessante Belebung des durch die zeitweise Rotation der Segmente aufgelockerten Einheitsbühnenbildes und schaffen neben der veristischen Optik eine gewisse, die jeweiligen Momente überhöhende Abstraktion.
Paolo Lardizzone als Calaf
In den beiden Hauptrollen hatte man diesmal für die A-Premiere Gäste eingeladen. Die Russin Zoya Tsererina aus Kasan sang eine unnahbare Turandot mit dramatischem Aplomb und gut geführtem Sopran. (In der B-Premiere war eine US-Amerikanerin als Gast verpflichtet). Der Italiener Paolo Lardizzone war ein sehr guter Calaf auf Augenhöhe, mit durchschlagskräftigem Tenor. Dieser ist nicht zuletzt im „Nessun dorma“ auch zu guten Höhen fähig, klingt bisweilen aber etwas metallisch und hat kaum Italianità. Man hätte sich manchmal auch mehr Zwischentöne gewünscht. Olga Semenishcheva glänzte als Liu mit einem klangvollen Sopran mit herrlichem Piano und auch in den dramatischen Momenten. Sie vermochte die ganzen Ängste und Emotionen der Liu perfekt wiederzugeben. Eine Superbesetzung! Semenishcheva hat sich an diesem Abend für größere Aufgaben empfohlen. Vladislav Popov gab den Timur mit klangvollem tiefem Bass, ebenfalls eine besonders gute Besetzung dieser ja eher kleineren Rolle. Ping, Pang und Pong waren bei Dmitri Starodubov, Sergei Osovin und Vladimir Cheberyak in guten Händen. Insbesondere Starodubov konnte stimmlich beeindrucken. Dmitri Rozvizev war als Kaiser ein paar Jahrzehnte zu jung und die Stimme leider auch zu klein bei zu wenig Tiefe. Alexandr Kulga sang den Mandarin mit prägnantem Bariton und großem Ernst.
Calaf, Turandot und Oliver von Dohnányi
GMD Oliver von Dohnányi dirigierte wie immer mit viel Verve und Engagement das Orchester der Uraloper und brachte insbesondere die Dynamik der Partitur und nicht zuletzt die großen Chorszenen eindrucksvoll zur Wirkung. Wunderschön wurden die lyrischen Momente der volksliedhaften chinesischen Melodien heraus gearbeitet, so nach dem Auftritt des Kaisers im 2. Akt. Wie immer führte von Dohnányi die Sänger mit viel Liebe zum Detail und spornte die Chöre zu Höchstleistungen an. Seit Anfang August wurde geprobt. Das Ergebnis war in der Tat beeindruckend. Bemerkenswert war, dass bei der Premierenfeier Olga Semenishcheva, die exzellente Liu, nicht anwesend war.
Fotos: 1: Uralopera; 2,3,7: K. Billand; 4,5,6: Olga Kereluk
Klaus Billand