Palermo/Teatro Massimo: Parsifal NI - 30. Januar 2020 - Kurzrezension
Parsifal zur Lösung von Religionskonflikten?! Graham Vick zieht alle Register seines spartanischen sozialorientierten Regietheaters
1. Aufzug - Gurnemanz mit den Knappen
Im ehrwürdigen Teatro Massimo in Palermo, der Stadt, in der Richard Wagner schon sehr krank die Orchestrierung des „Parsifal“ im Januar 1882 abschloss, gab es zur Saisoneröffnung 2020 zum ersten Mal seit 1955 wieder eine Neuinszenierung. Graham Vick inszenierte das Stück in minimalen Bühnenbildern von Timothy O‘Brien, wenn man überhaupt von solchen sprechen kann. Von Vick als Künstlerischem Direktor der Birmingham Opera Company kennt man seine Verliebtheit in zeitgenössische und sozialorientierte Interpretationen.
1. Aufzug - Amfortas mit Klingsor - "Enthüllet den Gral!"
Schon vor Beginn sieht man über die profane Pressspan-Bühne bis auf die 123 Jahre alten Brandmauern, Feuerlöscher und allerlei Gerümpel inklusive. Kurioserweise – nach heutigen Inszenierungs-Usancen – geht zu Beginn des Vorspiels erst mal der Vorgang runter. Was dann kommt, ist zunächst kaum verständlich: Eine Truppe von US-amerikanischen GIs mit MGs im Anschlag kommen als Gralsritter und Chor, während Amfortas schwerst leidend und aus der Wunde blutend mit Dornenkrone durch ihre Reihen robbt. Die Gralserhebung (in einer weißen Kaffeetasse, aus dem Boden in einem Plastikbeutel hervorgekramt (!) wird zu einer Szene blutiger Selbstverstümmelung. Wie auch später immer wieder Gewalttaten bis hin zu Morden im Namen einer Religion gezeigt werden – als allerdings als sehr eindrucksvolles Schattenspiel hinter einem langen Vorhang. Im Mittelaufzug lassen sich die GIs von Klingsors Blumenmädchen beglücken und rennen bei dessen Kampfbefehl meist noch in der Unterhose, aber noch mit MG bewaffnet, über die Bühne! Am Ende humpeln sie auf Krücken und schwer krank ihrem Ende entgegen.
1. Aufzug - Amfortas "Gralsenthüllung"
Vick will zeigen, dass Zwistigkeiten bis Feindschaften wie zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland, Schiiten und Sunniten sowie Christen und Moslems weiter bestehen, ganz abgesehen vom fortwährenden Antisemitismus. Der Regisseur will den Finger heben gegen das, was er im Programmheft weitergehendes „usare la religione per asserire il nostro tribalismo“ nennt, also das Weiterbetreiben eines Stammesdenkens mit Hilfe der Religion. In diesem Sinne, meint er, hätten wir einen Parsifal noch nie so nötig gehabt wie jetzt – und hofft, dass er bald kommt.
2. Aufzug - Kundry mit der Ikone Maria Magdalenas
Auf all das kommt man allerdings nicht gleich, wenn man die Inszenierung erlebt, was ja des Öfteren zu sehen bzw. nicht zu sehen ist, wenn stimmige und ernsthafte Gedanken sich nicht ebenso überzeugend dramaturgisch umsetzen lassen. Am Ende siegt bei Vick natürlich die Menschlichkeit mit einem get together der Blumenmädchen mit den wenigen überlebenden Soldaten und einer Gruppe lustiger Kinder, die zuvor durch den Karfreitagszauber wieder zum Leben erweckt wurden und im Finale von Parsifal unterhalten werden…
2. Aufzug - Parsifal mit Kundry
Bei dem hochsitzenden Orchestra del Teatro Massimo unter der Leitung seines neuen und exzellenten Chefdirigenten Omer Meir Wellber klang Wagners Musik fast monumental, jedenfalls waren Einzelinstrumente besser zu hören also sonst, besonders die Harfen. Tómas Tómasson brillierte stimmlich und darstellerisch als Amfortas und John Relyea mit tiefem und resonantem Bass als Gurnemanz. Julian Hubbard überzeugte mit großem Charisma aber nicht ganz reinen Tenorfreuden. Catherine Hunold blieb der Rolle vokal einiges schuldig. Thomas Gazheli war als Klingsor zu laut, die Chöre großartig.
Fotos: Franco Lannino 2-5; und Rosselina Garbo 1
Klaus Billand