Leipzig: Parsifal beim Leipziger Wagner-Festival WAGNER 22 - 14. Juli 2022
Eingang der Oper Leipzig
Man hatte sich nach dem „Ring“ in nur vier Tagen schon an den Eintages-Rhyhtmus gewöhnt. Aber die Oper Leipzig ließ der vielfach von weit her angereisten „Wagnerschaft“ dann doch einen Tag Verschnaufpause vor dem „Parsifal“, mit dem ja Richard Wagner seine Bühnenwerke abschloss und nun Ulf Schirmer seine Funktionen als GMD seit 2009/10 und Intendant seit 2011/12.
Parsifal mit den Zaubermädchen
Mit dem „Parsifal“ in der tiefsinnigen Inszenierung von Roland Aeschlimann aus dem Jahre 2004 in Genf, die später an die Oper in Nizza und Leipzig kam, ging der Wagner 22-Marathon zu Ende. Ich habe mich damals sehr intensiv mit der mythisch-intellektuellen Reichhaltigkeit dieser Produktion auseinander gesetzt, was in der Genfer Rezension von 2010 unter dem Link https://www.klaus-billand.com/files/2010-genf-parsifal.pdf wiedergegeben ist. Mit seiner ansprechenden und abstrakt auf Mythos, Symbolik und auch auf weiter gefasste religiöse Aspekte abstellenden Inszenierung mit ihren imaginativen Bühnenbildern und einer ungewöhnlich sublimen und effektvollen Lichtregie durch Lukas Kaltenbäck sowie sehr geschmackvollen Kostümen von Susanne Raschig schafft Aeschlimann weite Räume, in denen sich die Reifung Parsifals zum neuen Gralskönig mit zielsicherer Personalführung in zeitweise faszinierender Optik vollzieht. Er stellt die nicht heilen wollende Wunde des verletzten und leidenden Amfortas in den Mittelpunkt, die für sie symbolisch für die Wunde eines jedes Menschen steht. Namen sind dabei Schall und Rauch, Runen und Ruinen. Was bleibt, ist die offene Wunde – nicht die durch die Lanze verursachte, sondern die im Herzen, wie Wagner es selbst einmal anmerkte.
Applaus Falk Struckmann
Dem Publikum wird ein weiter Spielraum zu eigenen Assoziationen überlassen, der sehr poetisch und gerade auch durch das eindrucksvolle Spiel der Farben in großer Harmonie mit der Musik steht. Aeschlimann zitiert aber auch die Dichtung von Wolfram von Eschenbach, in der von einem vom Himmel gefallenen Stein (lapis exilis) gesprochen wird, sowie die den Meister interessierende Reinkarnations-Philosophie des Buddhismus. Der Regisseur macht mit dieser Produktion klar, dass „Parsifal“ von verschiedenen Seiten gleichzeitig gesehen werden kann. Dabei ist es ihm eindrucksvoll gelungen, diese ästhetische Vision der Vielschichtigkeit der menschlichen Dimension des Werkes in optisch bewegendes Operntheater umzusetzen. So bildet der mystische und einem Diamanten ähnliche Stein von Eschenbach im Schwebezustand zwischen Erde und Himmel, aus dem er gefallen ist, symbolisch den Gral. Er ist das Scharnier zwischen Gut und Böse, zwischen idealisierter Menschlichkeit und dem realen menschlichen Leben auf Erden, sowie der Hölle darunter. Leider erscheint die Leipziger Inszenierung über die Jahre ziemlich vernachlässigt und hätte für das Festival WAGNER 22 aufgearbeitet gehört. Aber das war wohl nicht möglich. So ging einiges von der beachtlichen Intensität verloren, die damals in Genf zu erleben war.
Applaus nach dem 2. Aufzug
Andreas Schager sang die Titelrolle wie immer mit zu hoher Lautstärke. Gerade beim Parsifal wäre ein gutes und gefühlvolles Legato so wichtig. Darstellerisch ließ er hingegen nichts zu wünschen übrig. René Pape war der bewährt gute und väterliche Gurnemanz, der diese Rolle zu einer in jeder Hinsicht protagonistischen erhob. Der schon vielseitig bei WAGNER 22 eingesetzte Bariton Mathias Hausmann konnte nun auch als leidender Amfortas beeindrucken und stimmlich sehr überzeugen. Falk Struckmann, ein ganz großer Wagner-Sänger und mittlerweile ins Bass-Fach gewechselt, erinnerte mit den bassbaritonalen Klängen des Klingsor jedoch an seine großen Zeiten als Wotan in Bayreuth, Wien und anderswo. Elena Pankratova gestaltete wieder eine persönlichkeitsstarke Kundry mit gewohnt kraftvoller Stimme und starkem Ausdruck. Auch die Nebenrollen waren mit Sängern aus dem Leipziger Ensemble gut besetzt, die hier schon mehrfach besprochen wurden.
Applaus Protagonisten
Ulf Schirmer musizierte mit dem Gewandhausorchester einen wunderbaren „Parsifal“, getragen von großer Erfahrung und Kenntnis der Besonderheiten dieses einmal nur für Bayreuth konzipierten Abschlusswerkes Richard Wagners. Folgerichtig bekam Schirmer vor dem 3. Aufzug mit dem Orchester auch einen begeisterten Auftrittsapplaus. Der wieder von Thomas Eitler-de Lint einstudierte Chor und der Kinderchor unter der Leitung von Sophie Bauer fügten sich perfekt in das musikalische und dramaturgische Geschehen ein. Ein großartiger Abschluss von WAGNER 22 – ohne jene Frage!
Nacht über der Oper Leipzig nach WAGNER 22
FAZIT:
Beim den Leipziger Festtagen WAGNER 22 gab es viele Höhepunkte, vor allem sängerischer und musikalischer Art, in einigen Fällen auch bei den Inszenierungen, dazu aber auch weniger überzeugende Momente. Es ist klar, dass bei einem Kanon von allen 13 Werken, die über einen Zeitraum von immerhin 15 Jahren in Leipzig inszeniert oder eingekauft wurden, ganz unterschiedliche Eindrücke und Qualitäten entstehen. Was aber angesichts der derzeitigen Leere mancher großer Häuser zu unterstreichen ist: In Leipzig was fast jeder Abend ausverkauft und das Haus bis auf relativ wenige Plätze vollbesetzt. 450 Besucher, zum Teil aus Übersee bis Australien, hatten gar ein Paket mit allen 13 Aufführungen gebucht. Die Opernhäuser sind also voll, wenn es etwas Gutes gibt! Corona zieht nicht mehr, obwohl in Leipzig viele Besucher noch oder wieder Masken trugen, in Salzburg nun kaum noch welche. Und es ist nahezu unglaublich, dass man trotz gänzlich fehlender Handy-Ansagen praktisch nie einen Piepton während der Aufführungen hörte. Das Publikum war enorm diszipliniert und konzentriert!
WAGNER 22 gab den Wagner-Freunden auch die seltene Gelegenheit, einmal über die künstlerische Entwicklung dieses die Musik des 20. Jahrhunderts wie kein anderer prägenden Komponisten in einem so kurzen Zeitraum und zudem auch noch mit allen drei Frühwerken, die nur selten an anderem Ort auch szenisch geboten werden, zu erleben und auf sich wirklich zu lassen. Ganz anders als sein großer Antipode in Leipzig, Felix Mendelssohn Bartholdy, dem allerdings ein viel kürzeres Leben beschieden war, musste Wagner zuerst seinen musikalischen und musikdramatischen Stil finden. Ab dem „Tannhäuser“ verfeinerte er ihn immer mehr und führte ihn im „Ring des Nibelungen“, in „Tristan und Isolde“ sowie in den „Meistersingern“ und schließlich im „Parsifal“ – auch mit entsprechender literarischer Begleitung im Exil in den 1850er Jahren – zu bis heute immer noch faszinierenden Höhen. Und das verbunden mit einer offenbar nicht enden wollenden Anziehungskraft für viele Musikliebhaber weltweit.
Ähnlich wie Richard Wagner unter die Partitur der „Götterdämmerung“ schrieb „Ich sage nichts weiter“, wollte Intendant und GMD Ulf Schirmer, der dieses ganze Festival mit allen 13 Bühnenwerken des Bayreuther Meisters zu seinem Abschied von der Oper Leipzig konzipiert und durchgeführt hat, den Taktstock niederlegen und ebenfalls nichts weiter sagen. Deshalb kam sein Abschied mit allen Reden und Rednern schon zu Beginn (Merker 07/2022). Denn dann wird Ulf Schirmer bis zum 1. Januar 2024 in ein Sabbatical ohne Oper und Konzert gehen, mit seiner Frau reisen, wandern, Neues entdecken, völlig entschleunigen, wie man neudeutsch sagt. Und dann sieht man weiter, sicher mit Musik…
Fotos: Tom Schulze 2; K. Billand 1, 3-6
Klaus Billand