Innsbruck/TLT: Die Passagierin – Premiere 21. Mai 2022

Unter die Haut gehende Schicksale…

Marta zu Anfang auf dem Schiff

Marta zu Anfang auf dem Schiff

In seiner letzten Saison als Intendant des Tiroler Landestheater-TLT inszenierte Johannes Reitmeier die bekannteste Oper von Mieczyslaw Weinberg, Die Passagierin. Dieses Werk, welches der große Weinberg-Förderer Dmitri Schostakowitsch 1974 völlig zu Recht als ein „in Form und Stil meisterhaft vollendetes Werk und dazu vom Thema her ein höchst aktuelles“ bezeichnete, erlebte in den vergangenen Jahren eine regelrechte Renaissance. Und gerade angesichts gegenwärtiger Entwicklungen erscheint Die Passagierin heute wieder von politischer Relevanz.

Ensemble

Ensemble

Nach der szenischen Uraufführung durch David Pountney bei den Bregenzer Festspielen 2010 konnte ich das Stück 2016 in Ekaterinburg und 2019 in Tel-Aviv erleben. Auch die Oper Graz kam 2020 mit einer Neuinszenierung heraus. Immer waren es eindrucksvolle und zutiefst zu Herzen gehende Erlebnisse, die zu mehr als nur zum Nachdenken anregten.

Lisa mit Marta und anderen Gefangenen im Frauenlager

Lisa mit Marta und anderen Gefangenen im Frauenlager

Die Passagierin geht auf das 1962 auch als Buch erschienene Hörspiel „Die Passagierin aus der Kabine 45“ der polnischen KZ-Insassin Zofia Posmysz zurück, die die Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und Ravensbrück überlebte. Es schildert die Überfahrt der ehemaligen KZ-Aufseherin Lisa, die 1960 mit ihrem als deutschem Botschafter in Brasilien ernannten Mann Walter auf der Überfahrt über den Atlantik ist und auf dem Schiff völlig unerwartet der KZ-Insassin Marta begegnet, die sie sicher für tot glaubte. Schwere eheliche Auseinandersetzungen und ein Rückblick auf ihre Geschichte in Auschwitz 1943-44 in holzschnittartigen Rückblenden folgen und lassen das Stück aus zwei spannenden Perspektiven erleben.

Im Frauenlager

Im Frauenlager

Johannes Reitmeier hat mit seinem Bühnenbildner Thomas Dörfler und dem Kostümbildner Michael D. Zimmermann bewusst auf jedes dekorative Element verzichtet und sich auf die Erzählebenen der beiden Frauen Marta und Lisa konzentriert. Dazu schuf Dörfler eine Installation aus Holz, die einerseits wie ein Schiff auf dem Ozean wirkt, immer wieder eindrucksvoll von Ralph Kopp beleuchtet, andererseits aber auch die Elemente eines Vernichtungslagers in sich birgt. Durch die Innsbrucker Drehbühne werden damit schnelle Szenenwechsel möglich, was gerade bei den beiden Handlungsebenen der Oper von großer Bedeutung ist. So wird durch die lebhafte Bespielung dieser Struktur große Spannung und dramaturgische Kontinuität erzeugt. Besonders ergreifend ist das Spielen der „Chaconne“ von Bach durch den Geliebten Martas, Tadeusz, vor dem Lagerkommandanten, der seinen banalen Walzer hören wollte. In der Folge schlagen die Kapos ihn zu Tode…

Lisas Qual an Bord

Lisas Qual an Bord

Überhaupt zeichnet Reitmeier die Figuren mit großer emotionaler Tiefe, so die Frauen im Lager, die sich gegenseitig Mut zum Überleben zusprechen, die auf dem Schiff fast in Wahnsinn geratende Lisa, die im KZ Auschwitz wiederum eine vermeintlich harte Aufseherin gibt, mit der späteren Entschuldigung „Ich habe nur meine Pflicht getan.“ Die exzellente Personenregie und die sehr authentisch wirkende Aktion der Sängerdarsteller strahlen große Authentizität und Emotionalität aus.

Lisas Herrschsucht im Frauenlager

Lisas Herrschsucht im Frauenlager

Jennifer Maines ist mit ihrem ausdrucksstarken Mezzo eine imposante Lisa. Nadja Stefanoff gibt eine einnehmende Marta mit bestens ansprechendem Sopran. Roman Payer ist ein eindrücklicher Walter mit kräftigem Tenor und Alec Avedissian ein ausgezeichneter Tadeusz. Alle Nebenrollen sind ebenfalls bestens besetzt. Insbesondre machen Susanne Langbein als Katja, Irina Maltseva als Krystina, Zsófia Mózer als Vlasta, Fotini Athanasaki als Hannah und Annina Wachter als Yvette starken emotionalen wie vokalen Eindruck. Susanna von der Burg gibt die Alte, Angobile Fumba die Bronka, Ulrike Lasta die Oberaufseherin und Rosmarie Reitmeir den Kapo. Oliver Sailer, Valentin Vatev und Michael Gann spielen vor allem beängstigende SS-Männer. Jannis Dervenis als Älterer Passagier und der gegen Trinkgeld zu allem zu habende Andrea De Majo als Steward runden das zahlreiche Ensemble ab.

Marta mit Tadeusz

Marta mit Tadeusz

Tommaso Turchetta versteht mit dem Tiroler Symphonieorchester Innsbruck und dem eindrucksvoll auftretenden Chor und Extrachor des TLT alle Elemente der komplexen Musik Weinbergs zur Entfaltung zu bringen. Dabei fällt besonders die psychologische Zeichnung einzelner Charaktere und Situationen durch eine exakte musikalische Interpretation auf. Eine eindrucksvolle Interpretation von Weinbergs „Passagierin“!

Tadeusz spielt die "Chaconne"

Tadeusz spielt die "Chaconne"

Bemerkenswert ist das „Gender-Engagement“ zur vermeintlichen Gendergerechtigkeit der deutschen Sprache, welches die TLT-Dramaturgin Johanna Muschong im Programmheft zur „Passagierin“ entfaltet. Da wird nicht nur ein Interview mit dem Bühnenbildner Thomas Dörfler stramm mit Genderstern auf innen durchgegendert, obwohl mit hoher Sicherheit anzunehmen ist, dass dieser den Glottisschlag im Interview nicht gemacht hat (wie praktisch kein Interviewter, auch nicht im TV). Was dem Gender-Fass jedoch den Boden ausschlägt, ist das unter dem Titel „Über die Oper“ abgedruckte „Vorwort von Dmitri Schostakowitsch zur Ersten Druckausgabe des Klavierauszugs 1974“, welches ebenfalls auf Genderstern mit innen durchgegendert wird. Es ist in einer deutschen Übersetzung des wahrscheinlich russischen Textes von Schostakowitsch, der allerdings auch gut Deutsch sprach, zu lesen: „Die moralisch-sittlichen Ideen, die der Oper zugrunde liegen, seine Geistigkeit und sein Humanismus können den Zuhörer*innen nicht unbeeindruckt lassen.“ Das muss man sich einmal vorstellen, auch das Deutsch! Im Prinzip ist das eine Verfälschung eines historischen Textes, denn Schostakowitsch kann 1974 noch gar keinen Glottisschlag und noch viel weniger einen Genderstern gebraucht haben. Er hat damals nicht gegendert und würde es auch heute nicht tun, weil in keiner einzigen slawischen Sprache gegendert wird, eine Tatsache, die der geschätzten Dramaturgin wohl nicht bekannt ist oder unbeachtet blieb. Und dabei sollte auch sie langsam einmal bedenken, dass ihre Stellung am TLT im Wesentlichen von Steuerzahlern finanziert wird, die nicht nur in Deutschland sondern auch in Österreich zu über 70 Prozent das Gendern der deutschen Sprache ablehnen und in ihrer Mehrheit nicht einmal in Theater und Oper gehen. Und dabei sind auch die Frauen! In der Belletristik, und man sollte annehmen, dass eine Dramaturgin solche ständig liest, ist auch bei weiblichen Autoren kein sprachverhunzendes Gendern zu finden.

Schlussaplaus mit Intendant, Marta und Tadeusz et al.

Schlussaplaus mit Intendant, Marta und Tadeusz et al.

Man möge sich am TLT über solche Entgleisungen einmal ernsthaft Gedanken machen. Im Übrigen hat der Rat für deutsche Rechtschreibung im März 2021 dazu klar Stellung bezogen und dieses und andere ähnlich geartete Satzzeichen als nicht normgerecht abgelehnt. Österreich hält im Rat als deutschsprachiges Land wesentliche Stimmen. Und, last but not least, ist ein Landestheater keine sprachliche Umerziehungsanstalt gegen die Mehrheit der Bevölkerung, sondern eine Institution, die Theater, Oper, Ballett und Musical aufzuführen hat. Genau das geschieht in der Intendanz Reitmeier in Innsbruck seit vielen Jahren in ganz ausgezeichneter Art und Weise! Da möchte man als interessierter Besucher aber auch richtiges Deutsch im Programmheft lesen!

Fotos: Birgit Gufler 1-8; K. Billand 9

Klaus Billand

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