Toulouse: L’Annonce faite à Marie – Uraufführung - 23. November 2019
Eine gelungene Uraufführung!
Inszenierungs-Plakat
Einer der wohl besten Theatertexte des Dramaturgen und Poeten Paul Claudel hat in Toulouse nun seinen Weg in die Oper gefunden, als Auftragswerk des Théatre du Capitole. Als der französische Komponist Marc Bleuse Claudels Werk von 1912, „L’Annonce faite à Marie“ entdeckte, war er gerade einmal 17 Jahre alt. Über 60 Jahre später wurde nun sein Traum wahr, dieses theatralische Meisterwerk in eine Oper zu gießen.
Violaine und Craon
Mit der Unterstützung seines Freundes Jean-Francois Gardeil bei der Adaptation des Textes von Claudel und der szenischen Umsetzung – Gardeil wurde Regisseur der Uraufführung – erzählt uns Bleuse nun in musikalischem Gewand die bewegende Geschichte der Schwestern Vercours, Violaine und Mara, beide total verschieden, die sich am Ende über den Glauben wiederfinden. Gerade dazu ist der spirituelle Rahmen des Auditoriums der alten Kirche Saint-Pierre-des-Cuisines an der Garonne besonders geeignet. Und das wurde an diesem denkwürdigen Abend in einer bemerkenswerten Opern-Uraufführung auch tatsächlich bewiesen.
Der Vater mit Mara
In einem Interview von Jean-Jacques Groleau befragt, erklärt Bleuse das Konzept seiner musikalischen Interpretation. Er wollte verschiedene Stilarten haben, wobei die Diversität aber zu einem System führen sollte. Von Hause aus nennt er seinen Musikkstil modal. Da es aber der Text von Claudel verlangt, zitiert er auch gregorianische Melodien in bestimmten Situationen, wie beim „Salve Regina“, um das Bühnengeschehen musikalisch zutreffender zu untermauern. Dann gibt es wieder Phasen mit zeitgenössischer Musiksprache, beispielsweise wenn der Chor das „Magnifikat“ anstimmt.
Jacques Hury mit Violaine
Was den Gesang angeht, so wählte er die Psalmodie, insbesondere in den narrativen Passagen, dann rhythmische Gesangsformen, dem Sprechgesang nahekommend, und natürlich viel Gesang im eigentlichen Sinne. Es sollten alle Stilarten enthalten sein, die er im Laufe seines Komponistenlebens verarbeitet hat. In der Orchestrierung legte Bleuse viel Wert auf große Klarheit mit einem Streichquintett, Holzblasinstrumenten (Flöte, Altflöte und Piccoloflöte, Klarinette und Bassklarinette) sowie mit Metall mit einer Posaune. Und viel Schlagzeug für bewegende und spektakuläre Momente.
Mara mit Violaine
Die Geschichte geht so: Pierre de Craon, ein Kathedralen-Bauer, macht Violaine Vercours den Hof, obwohl diese schon mit Jacques Hury verlobt ist. Als sie hört, dass Craon Lepra hat, gibt sie ihm aus Mitleid einen Abschiedskuss. Ihre Schwester Mara sieht das. Beider Vater geht ins Heilige Land. Er vertraut zuvor seinen Besitz Jacques Hury an. Violaine, selbst nun mit Lepra infiziert, muss ins Siechenhaus. Daraufhin heiratet Hury Mara, und sie wird schwanger. Das Kind wird tot geboren. Mara macht Violaine, die von der Lepra entsetzlich entstellt auftritt, schwere Vorwürfe. In der Weihnacht zwingt Violaine sie aber zum Beten, berührt das Kind – und es beginnt wieder zu atmen. Entsetzt stellt Mara fest, dass es nun die Augenfarbe von Violaine hat. Der Vater kehrt heim, trägt die fast tote Violaine in den Armen, und Mara macht sich nun selbst schwere Vorwürfe. Da wacht Violaine langsam auf, und die Schwestern versöhnen sich.
Die Familie mit der sterbenden Violaine
Das Ambiente in der Kirche, einem rötlichen Klinkerbau, mit nur geringer Ausstattung, verleiht dieser Oper auratische Wirkung. Das Orchester sitzt seitlich am Rand des Geschehens. Clémence Garcia als Violaine verfügt über einen klangschönen, fast vibratofreien Sopran, bestens zur Rolle passend und ganz sicher auch zu Mozart. Sarah Laulan gibt eine persönlichkeitsstark auftretende Mara mit vollem und facettenreichem Mezzo. Auch Philippe Estèphe als Jacques Hury, Pierre-Yves Pruvot als Piere de Craon, Lionel Sarrazin als Anne Vercours (Sprechrolle), Laurence Roy als Èlisabeth Vercours und Jean-Francois Gardeil als Sprecher, ja auch der Regisseur, überzeugen in kleineren Rollen. Pierre Bleuse dirigiert das Quatuor Béla und und den von Rolandas Muleika einstudierten Chor Antiphona mit viel Herz und Verve, sodass das Orchester integraler Teil der Handlung wird. Großer Applaus – eine gelungene Uraufführung!
Fotos: Patrice Nin
Klaus Billand