MADRID: „Gloriana“ - Premiere 12. April 2018

Ein ungewöhnlicher Britten…

"Gloriana"-Poster

"Gloriana"-Poster

Am ersten Tag des 1. World Opera Forum (WOF) am Teatro Real in Madrid besuchten die TeilnehmerInnen die Neuproduktion der Oper „Gloriana“ von Benjamin Britten des Teatro Real in Ko-Produktion mit der English National Opera und der Vlaamse Opera in Belgien. David McVicar führte Regie und nahm natürlich auch am Forum teil. Zum WOF findet sich auf dieser Seite ein ausführlicher Bericht.

Die Last der Krone...

Die Last der Krone...

Brittens Oper „Gloriana“ ist bei weitem nicht so bekannt wie andere und weit öfter gespielte Werke, vor allem „Albert Herring“, „The Turn of the Screw“, „Billy Budd“ und „Peter Grimes“. Wie der Künstlerische Direktor des Teatro Real, Joan Matabosch, im Programmheft schreibt, sei das zentrale Thema der Oper „The Queen`s Dilemma“ im 3. Akt. Das kam auch bei dieser ansehnlichen Produktion nachhaltig heraus, doch dazu später. Die Oper, welche über das Leben der „jungfräulichen Königin“ – The Virgin Queen“ Elisabeth I. von England und Irland zu ihrer Regentschaft von 1558 bis zu ihrem Tode 1603 spielt, war eine Auftragsoper an Britten zur Feier der Krönung von Elisabeth II. im Juni 1953. Britten komponierte sie mit dem Libretto von William Plomer nach dem Roman „Elizabeth and Essex“ von Lytton Strachey. „Gloriana“ erlebte ihre UA unter der musikalischen Leitung von John Pritchard am 8. Juni 1953 in London.

Die Krone dreht sich

Die Krone dreht sich

Wie schon der Titel des Romans sagt, geht es um die verbotene Liebe von Elisabeth I. mit Roberto Devereux, dem jungen, attraktiven, dynamischen und überaus ehrgeizigen Grafen von Essex. Elisabeth I. wurde von zeitgenössischen Schriftstellern im Sinne einer Überhöhung ihrer Regentschaft als Gloriana bezeichnet. Daher der Name der dreiaktigen Oper. Im Roman von Strachey wird Elisabeth I. als eine außerordentlich vielseitig begabte und fähige Herrscherin beschrieben, die unter anderem sechs Fremdsprachen beherrschte und sogar der Kalligrafie mächtig war, aber auch als eine gute Musikerin, Tänzerin und eine Kennerin der Malerei und Poesie beeindruckte. Hinzu kam eine äußerst ernsthafte und akribische Wahrnehmung ihrer Amtsgeschäfte, was sie über jeden Zweifel möglicher „zweiter Agenden“ erhob. Unter ihrer Regentschaft stieg England zu großer politischer, wirtschaftlicher und kultureller Bedeutung auf – es war unter anderem auch die Zeit des William Shakespeare. Es war das Elisabethanische Zeitalter!

Die Pracht der Macht!

Die Pracht der Macht!

Zu Beginn der Oper muss die Königin einer Auseinandersetzung zwischen Lord Mountjoy und dem Grafen Essex schlichten, dem sie wohl gesonnen ist, während ihr ewiger Berater Sir Robert Cecil sie vor Essex wegen dessen rebellischen und ehrgeizigen Verhaltens warnt. Dieser will unbedingt als Oberbefehlshaber nach Irland gehen, aber Elisabeth zögert mit der Ernennung. Er plant mit seiner Frau Lady Essex sogar eine Revolte, wird aber von Penelope, seiner Schwester, und Lord Mountjoy, die sich ihre Liebe gestehen, davor gewarnt. Auf einem Maskenball in Whitehall kränkt die Königin Lady Essex, indem sie das gleiche Kleid wie die Lady trägt, ernennt dann aber doch Essex zum Oberbefehlshaber in Irland. Er bleibt dort aber erfolglos und zieht sich trotz anfänglicher, auf ihrer Zuneigung zu ihm beruhender Sympathien, die Ungnade der Königin zu. Als Cecil ihr dann noch berichtet, das Essex eine Revolte gegen sie plant, lässt sie Essex unter dem Druck des Hofstaats verhaften. Sie unterschreibt nach heftigem innerem Kampf und trotz des Bittens von Mountjoy, Penelope und Lady Essex um Gnade schließlich – wutentbrannt über den Verrat des Mannes, den sie liebt – das Todesurteil. Als gebrochene Frau bleibt sie wieder allein zurück und stirbt zwei Jahre später. Am Ende der Oper gibt es einen allerdings versöhnlichen Epilog, der in dieser Inszenierung mit Chören aus dem Off von den glorreichen Taten und dem Ende der Königin erzählt.

Der Maskenball

Der Maskenball

Nach Ansicht Mataboschs hatten sich Auftraggeber die Oper „Gloriana“ wohl anders vorgestellt, eben als glanzvolle Dokumentation des Erbes der nahezu mythischen Regentin Elisabeth I. zur Krönung Elisabeth II. Er meint dazu: „… era altamente probable que si se le encomendaba una ópera a Britten, el resultado fuera precisamente una ópera de Britten“. („…wenn man Britten mit einer Oper betraute, war es höchstwahrscheinlich, dass es eine Oper von Britten werden würde“). Der Komponist machte daraus also eine menschlich nahegehende Auseinandersetzung Elisabeth I. zwischen ihrem Anspruch, eine tadellose Herrscherin über ihr geliebtes Volk zu sein und ihrer Liebe zu Graf Essex, der sie abschwören, ja dessen Todesurteil sie sogar am Ende unterschreiben muss. Britten zeigt somit, was hinter der Fassade der „gloriosen“ Königin und all‘ ihrem Prunk steckt – eine alternde Frau, die letztlich an der (auch erwarteten) Glorie ihrer königlichen Größe und den darin keinen Platz findenden Emotionen einer liebenden Frau zerbricht, die ihre eigene Verwundbarkeit erkennen muss. Ein zutiefst menschliches Drama!

Die einsame Königin

Die einsame Königin

Und somit wären wir bei „The Queen`s Dilemma“ im 3. Akt. Hier zeigt McVicar mit intensiven Bildern, wie die Königin unter der Schwere der Entscheidung fast zusammen bricht und vereinsamt zu den letzten Klängen der Oper die Bühne ins Dunkel verlässt. Das war sicher der Höhepunkt der Inszenierung, intensiv gespielt von Anna Caterina Antonacci als Elisabeth I. Sie stellt die Regentin mit großer Würde und in den entsprechenden Momenten auch mit beeindruckender menschlicher Tiefe dar, auch wenn es ihrem Sopran etwas an Resonanz mangelt. Schon gleich zu Beginn zeigt der Bühnenbildner Robert Jones mit einer riesigen goldenen Krone auf der Bühne, die sich immer wieder in sich verdreht und von Beginn bis zum Ende die Optik beherrscht, symbolisch, unter welcher königlichen Bürde Elisabeth I. steht – und leidet. Hier sind eben keine Emotionen möglich, was der Regisseur zusätzlich mit den schwarzen Roben und weißer Halskrause des Hofstaats um Cecil, Mountjoy und Sir Walter Raleigh unterstreicht.

Graf Essex und die Königin

Graf Essex und die Königin

Die zum Teil überaus prunkvollen Kostüme wurden von Brigitte Reiffenstuel geschaffen und tragen wie die exzellente Lichtgestaltung von Adam Silverman zu vielen starken Bildern bei. Ein optischer Höhepunkt ist der Maskenball im 2. Akt, der von Colm Seery fantasievoll choreografiert wird und mit einer Vielzahl von tänzerischen Einlagen, auch mit barocken Elementen und sogar einem Kobold aufwartet. Zweimal gibt es bei Szenenschlüssen große Tableaus mit Chor und Solisten, welche an die Grand Opéra von G. Meyerbeer und so gar nicht an Britten erinnerten. Der von Andrés Máspero einstudierte Chor des Teatro Real sang imposant und mit großer Transparenz sowie stimmlicher Kraft. Der Chor kommentierte das Geschehen oft wie jener in der griechischen Antike. Es gab auch einen Kinderchor des JORCAM.

Die Königin, eine alternde Frau...

Die Königin, eine alternde Frau...

Die menschlich berührendste Szene war aber die erste des 3. Akts, wenn Graf Essex zur Königin vordringt, obwohl sie noch gar nicht ganz angezogen und von den Hofdamen für den Tag vorbereitet ist und es zur Auseinderstzung der beiden kommt. Wir erleben, von der Regie perfekt gestaltet, die alternde Frau, den Menschen Elisabeth, und ihre Verzweiflung angesichts des Erkennens des Scheitern Müssens ihrer Liebe zu Essex. Hier erlangt Brittens „Krönungswerk“ großen Tiefgang, der nicht unbedingt einer Feierstunde zur Krönung Elisabeth II. entsprochen haben dürfte. Leonardo Capalbo spielt einen sehr engagierten jungen Grafen Essex mit einem baritonal unterlegten, ins Heldische neigenden Tenor – eine der stärksten Figuren des Abends. Bei den Damen überzeugt neben einem ebenso intensiven Spiel Sophie Bevan als Penelope stimmlich mit ihrem leuchtenden und kraftvollen Sopran am meisten. Sie graduierte übrigens an der Internationalen Opernschule Benjamin Britten! Leigh Melrose ist ein ausdrucksstarker und körperlich behinderter, aber umso eindrucksvollerer Cecil mit einem kraftvollen Bariton. Ebenso kann Duncan Rock als Graf Mountjoy mit einem guten Bariton bei etwas zu geringer Tiefe und David Soar als Raleigh überzeugen. Paula Murrihy ist eine gute Lady Essex. James Creswell singt mit sonorem Bass den blinden Balladensänger. Die vielen Nebenrollen sind ebenfalls gut besetzt.

Die Unterschrift des Todesurteils, Cecil wacht!

Die Unterschrift des Todesurteils, Cecil wacht!

Der GMD des Teatro Real, Ivor Bolton, stand am Pult des Orquesta Titular del Teatro Real. Wie es dem Sujet entspricht, kann es in diesem Stück keine melodische Harmonie und entsprechende harmonische Linien geben. Schon das Vorspiel beginnt mit Blechbläsersoli, die von sehr prägnanten Streicherlinien gekontert werden, sehr akzentuiert. Oft kommentiert die Musik mehr, mit dem Einsatz auch vieler instrumentaler Soli, als dass sie symphonisch des Geschehen unterstützt. Allein, wenn es um die Auftritte der Königin geht, schwenkt der Klang in eine zum Teil hymnisch anmutende Ästhetik über. So wird die Königin auch musikalisch hervorgehoben als die Hauptperson, um die es hier geht. Das alles hat Bolton mit seinem hervorragenden Orchester mit viel Verve und großer Intensität bestens darzustellen vermocht. Der Applaus des Publikums, das dieses Stück überwiegend zum ersten Mal erlebte, war überschwänglich.

Fotos: Javier del Real / Teatro Real

Klaus Billand

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