BAYREUTH/Festspiele: Das Rheingold - Premiere 26. Juli 2013 Vorbericht
Rheintöchter 1. Bild
Nun ist es also raus, „Das Rheingold“ der seit langem erwartete Neuninszenierung des „Ring des Nibelungen“ von Frank Castorf zum Jubiläumsjahr des 200. Geburtstags von Richard Wagner auf dem Grünen Hügel in Bayreuth. Der Komponist nannte diesen ersten Teil der Tetralogie einen „Vorabend“ im Sinne einer Einführung in das Hauptwerk. Also wären vorschnelle Urteile über Gelingen oder Scheitern dieser Neuinszenierung zu diesem frühen Zeitpunkt fehl am Platze. Soviel kann aber heute Abend schon gesagt werden: Wie keine „Ring“-Inszenierung vor dieser in Bayreuth löst sich das Regiekonzept Castorfs, das ja keines sein will – aber auch keines ist eines, von den Vorgaben des Stücks und findet im miefigen und abgetakelten Milieu einer texanischen Südstaaten-Tankstelle von Texaco mit angeschlossenem Motel der 1950/60er Jahre zu einer weitestgehend freien Assoziationsorgie zur Verkommenheit des „Götter“-Geschlechts und der Welt an sich. Das ist bisweilen durchaus unterhaltend und viel Abwechslung bietend. Einiges ist auch im interpersonellen Diskurs gut ausgearbeitet und emotional in der Nahaufnahme einer Leuchtdioden-Fläche über dem Bühnenaufbau aus nächster Nähe von jedem Platz aus intensiver zu erleben als sonst – eine klare Anspielung auf das immer beliebter werdende public viewing. Geheimnisse soll es ja ohnehin keine mehr geben…
Tankstelle an der "Route 66"
Wie es aber bei einem solchen Ansatz meist geschieht, kommt es bei den Ideen und der Beliebigkeit von Assoziationen, insbesondere einer oft signifikanten Beziehungslosigkeit der ununterbrochen erscheinenden Video-Bilder zum Geschehen auf der Bühne und einem unbändigen Aktivismus auf der Drehbühne von Aleksander Denic zu einer gewissen Verflachung der dramaturgischen Dichte. Große Momente werden ganz offenbar banalisiert, wie auch das Dirigat von Kirill Petrenko sich allzu sehr zurückhält und eine fast kammermusikalische Interpretation liefert, die allerdings zur weitgehend höhepunktfreien Dramaturgie passt. Aber dies war sein Debut in Bayreuth, und da muss sich jeder erst einmal auf die speziellen Anforderungen der musikalischen Besonderheiten einstellen.
Loge und Mime 3. Bild
Dieses „Rheingold“ tut niemandem weh, reißt aber wohl auch nicht allzu viele aus dem Sessel. Von Fallhöhe und Mythos kann zu keinem Moment die Rede sein, das war bei Castorf auch nicht zu erwarten, der sich und seiner Ästhetik somit völlig treu bleibt. Aber die Musik Richard Wagners weist doch oft in eine andere Richtung und Dimension. Sie gerät hier viel zu oft zur bloßen Begleitung bzw. Untermalung – das Theater steht bei Castorf offensichtlich weit vor dem Musiktheater, welches Wagner im Sinne seines Gesamtkunstwerks konzipierte. Wenig ist von dem soviel im Vorfeld kolportierten Öl-Thema zu bemerken, abgesehen davon, dass hier getankt werden kann und einige mit ölverschmierten Gesichtern herumlaufen – wenn man so will, die Nähe der Schmierenkomödie auch optisch ausdrückend. Am Ende werden doch wieder nur Goldbarren gehortet, gestapelt und zum Abdecken von Freia verwandt. Der Verlust an thematischer Stringenz ist zumindest hier im Hinblick auf die postulierte Öl-Problematik unverkennbar. Manches erinnert durch die allzu vielen Gags und Slapstick-Einlagen an gehobenes Revue-Theater bzw. Kabarett, zumal die Musik nicht zur gewohnten Bedeutung gelangt. Das passt in einem bestimmten Maße durchaus zum „Rheingold“, wird sich so in den Folgestücken aber kaum durchhalten lassen. Durchaus interessant und fantasievoll die zu dieser Ästhetik passenden Kostüme von Adriana Braga Peretzki. Erinnerungen werden wach an das dramaturgisch allerdings viel intensivere Essener „Rheingold“ von Tilman Knabe, an das von Gustav Kuhn in Erl und auch an jenes von Barry Kosky in Hannover, der in seiner „Walküre“ bekanntlich auch eine Tankstelle zeigte und am Schluss von Wotan Sprit vergießen ließ – den wie auch immer gearteten finalen Brand suggerierend. Bei Castorf macht dies der allgegenwärtige Kellner und Kassierer der Tankstelle…
Erda im Schlafzimmer 4. Bild
Wolfgang Koch blieb als Wotan sängerisch hinter den Erwartungen zurück, es fehlte zumindest an diesem Abend bassbaritonales Volumen. Bei guten Höhen weißt die kultivierte Stimme doch eher in das heldenbaritonalem Fach. Ausgezeichnet Elisabet Strid mit intensiver Mimik und Ausdruck als Freia, Burkhard Ulrich mit kräftigem Tenor und ebenfalls gehaltvollem Spiel als Mime, Nadine Weissmann mit klangvollem Alt als Erda, Günther Groissböck als Fasolt und durchaus auch Sorin Coliban als Fafner. Unter den guten Rheintöchtern glänzte besonders die Flosshilde von Okka von der Damerau, neben der sehr guten Julia Rutigliano als Wellgunde und der guten Mirella Hagen als Woglinde. Claudia Mahnke war eine gute Fricka mit differenziertem Spiel und Martin Winkler ein intensiver, vor allem die sängerische Komponente betonender Alberich, der leider unentwegt mit der Loriotschen Pille-Ente herumhantieren musste und in seiner dramaturgischen Wirkung von der Regie sträflich minimiert wurde. Lothar Odinius sang einen guten, aber eher unauffälligen Froh, und Oleksandr Pushniak einen noch unauffälligeren und im Finale stimmlich kaum überzeugenden Donner. Am wenigsten konnte Norbert Ernst als Loge beeindrucken. Der in der Mittelage gut geführten Stimme mangelt es gerade für diese Rolle an tenoraler Schärfe und Artikulation in der Höhe. Auch er wurde allerdings – und er ist immerhin die zweitwichtigste Figur im „Rheingold“ – sträflich von der Regie vernachlässigt. Wolfgang Koch blieb als Wotan sängerisch hinter den Erwartungen zurück, es fehlte zumindest an diesem Abend bassbaritonales Volumen. Bei guten Höhen weißt die kultivierte Stimme doch eher in das heldenbaritonalem Fach. Ausgezeichnet Elisabet Strid mit intensiver Mimik und Ausdruck als Freia, Burkhard Ulrich mit kräftigem Tenor und ebenfalls gehaltvollem Spiel als Mime, Nadine Weissmann mit klangvollem Alt als Erda, Günther Groissböck als Fasolt und durchaus auch Sorin Coliban als Fafner. Unter den guten Rheintöchtern glänzte besonders die Flosshilde von Okka von der Damerau, neben der sehr guten Julia Rutigliano als Wellgunde und der guten Mirella Hagen als Woglinde. Claudia Mahnke war eine gute Fricka mit differenziertem Spiel und Martin Winkler ein intensiver, vor allem die sängerische Komponente betonender Alberich, der leider unentwegt mit der Loriotschen Pille-Ente herumhantieren musste und in seiner dramaturgischen Wirkung von der Regie sträflich minimiert wurde. Lothar Odinius sang einen guten, aber eher unauffälligen Froh, und Oleksandr Pushniak einen noch unauffälligeren und im Finale stimmlich kaum überzeugenden Donner. Am wenigsten konnte Norbert Ernst als Loge beeindrucken. Der in der Mittelage gut geführten Stimme mangelt es gerade für diese Rolle an tenoraler Schärfe und Artikulation in der Höhe. Auch er wurde allerdings – und er ist immerhin die zweitwichtigste Figur im „Rheingold“ – sträflich von der Regie vernachlässigt.
Konfusion im Schlafzimmer... 4. Bild
Kaum war der letzte Takt verklungen, brach ein Buhorkan los, gegen den die Befürworter unmittelbar anklatschten. Aber nach nur wenigen Sekunden – so früh habe ich das in Hunderten von Aufführungen noch nie erlebt – wurden die ersten Sänger vor den Vorhang geschickt. Damit wurde der Buhorkan praktisch wegmoderiert… Natürlich ging dann sofort für die Sänger der Jubel los. Wie immer setzte unmittelbar der Bayreuther Pawlowsche Applaus-Ritus ein, mit sofortigem Getrampel bei den meisten SängerInnen, aber mit klaren Abstrichen bei Wolfgang Koch und gar einigen Buhs bei Norbert Ernst.
Finale auf dem Dach...
Wer gedacht hätte, dass das Regieteam sich zeigt, wie es bei den „Ring“-Premieren der letzten Jahre nach den einzelnen Abenden hier üblich war, sah sich getäuscht. Castorf und seine Crew erschienen ebenso wenig wie die beiden Festspielleiterrinnen vor dem Beginn der „Holländer“-Festspielpremiere vorgestern vor dem Königsbalkon – eine alte Gepflogenheit, die durchaus auch der Verbindung der Festspiele mit den Bayreuther BürgerInnen dient, die zur Premiere immer zahlreich am Grünen Hügel erscheinen. Eine Bayreutherin, die gestern Mittag an meinem Tisch im Restaurant saß, meinte, die Bayreuther merkten nur noch, dass Festspiele sind, daran, dass die Baustellen zugeschüttet werden, um den Verkehr rollen zu lassen, und dass die Festspiele zu ende sind, wenn diese wieder aufgemacht werden. Das gibt zu denken, aber nicht nur das…
Eine detaillierte Rezension folgt nach der „Walküre“.
Fotos: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Klaus Billand