Wien: Siegfried – 16. Januar 2019

Rucksäcke zum Überdruss!

Wanderer und Mime 1. Aufzug

Wanderer und Mime 1. Aufzug

Auch im „Siegfried“ konnte das Orchester der Wiener Staatsoper unter dem zupackenden Dirigat von Axel Kober wieder begeistern. Und das ist, wenn man die gewisse Abenteuerlust, die Jendrik Springer in einem Gespräch auf der Agrana-Studienbühne mit Dramaturg Oliver Láng (Bericht unter „Themen zur Kultur“) Kober angesichts seiner Bereitschaft unterstellte, diesen „Ring“ ohne Orchesterprobe zu spielen, doch sehr bemerkenswert. Wenngleich mir Ádám Fischer im „Ring“ vor etwa einem Jahr musikalisch noch besser gefiel, da facettenreicher und noch spanender dirigierend, war dies orchestral ein sehr guter „Siegfried“ und lässt auf eine vielleicht noch bessere „Götterdämmerung“ mit einer dann ja noch vielschichtigeren und komplexeren Harmonik hoffen. Besonders die Streicher und Holzbläser hatten einen guten Abend. Mit toller Dynamik bei großartiger Transparenz gelang Kober mit seinen Musikern das stürmische Vorspiel zum 3. Aufzug, ebenso wie die wunderbare Verwandlungsmusik im 2. bis hin zum Pianissimo in den Violinen, dazu schöne Lyrik im Waldweben. Auch Siegfrieds Hornrufe von Manuel Huber klangen ebenso wie das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper bestens, wenn es auch an anderen Stellen im Blech manchmal kleinere Unsicherheiten gab. Beeindruckend war, wie gut die Hornrufe vor Neidhöhl‘ aus dem Off kamen. Man konnte annehmen, Stephen Gould selbst würde sie blasen.

Siegfried 1. Aufzug

Siegfried 1. Aufzug

Nein, das tat er nicht, aber Gould faszinierte wie immer mit seinem stählernen und in allen Lagen todsicher intonierenden Heldentenor, der ihn für mich weiterhin, wie schon lange, zum besten Siegfried, und „nebenbei“ natürlich auch Tristan, weltweit macht. Und nicht von ungefähr wird er in der Neuproduktion des „Tannhäuser“ im Sommer in Bayreuth auch die Titelrolle singen, ja besser gesagt, gestalten. Denn ein Sängergestalter – „Sängerdarsteller“ wäre hier schon zu wenig – ist er auch, das hat er an diesem Abend nicht zuletzt mit einer ausgefeilten Mimik einmal mehr bewiesen. Schön anzuhören ist seine baritonale Grundlage (es war ja früher seine Lage), aus der heraus er immer noch mühelos leuchtende Höhen singt.
Aber auch die feine Lyrik sowie das Legato im Waldweben und bei Erreichen des Brünnhilden-Felsens waren Sonderklasse!

Alberich 2. Aufzug

Alberich 2. Aufzug

Iréne Theorin war wieder seine Partnerin, konnte mich aber als Brünnhilde nicht so überzeugen wie in der „Walküre“. Die Tessitura der „Siegfried“-Brünnhilde liegt bekanntlich höher als die der beiden anderen, und man konnte an diesem Abend merken, dass Theorin damit an ihre stimmlichen Grenzen kommt. Die Topnoten, wie die drei Hs und das C gegen Ende wurden zwar alle gesungen, klangen aber doch grell. Sie kann sich natürlich auf eine sehr gute Mittellage und auch Tiefe verlassen, ist aber nicht immer im gewünschten Maße wortdeutlich. Leider trug sie auch hier wieder diese unmögliche Perücke, mit der sie tatsächlich wie die Tante Siegfrieds aussah, die sie ja auch ist. Vielleicht war dieser chronologische Realismus von der Maske gewünscht?! Warum lässt man Theorin nicht wie auch Wotan und Siegfried in dieser Inszenierung mit ihrer Naturfrisur auftreten?! Die ist nämlich sehr fesch. Peter Konwitschny hätte damit keine Probleme.

Mimi 2. Aufzug - auf dem Rucksack!

Mimi 2. Aufzug - auf dem Rucksack!

Jochen Schmeckenbecher sang und spielte zwar wie immer einen ausdrucksstarken Alberich. Die Stimme scheint aber etwas an Glanz und Prägnanz verloren zu haben. Zu viel gesungen? Herwig Pecoraro hält sich mit dem albernen Getrippel als Mime auch heute noch streng an die wohl ewig gewöhnungsbedürftigen Anweisungen der Regie von Sven-Eric Bechtolf aus der Premierenserie. Leider passt er auch seinen Gesang dieser Gestaltung an, zu der natürlich dann überstark forcierte boshafte Töne wie „Das mussssssst Du mir sein…“ gar nicht passen. Aber Pecoraro kann durchaus mit klar intonierten und charaktertenoralen Höhen aufwarten wie bei „…nie hab‘ ich soooowas gesehen“. Monika Bohinec sang eine attraktive und tief grübelnde Erda, der man die Überraschung über des Wanderers Nachricht, dass er ihre gemeinsame Tochter in Schlaf versenkt habe, verständlich macht. Denn eigentlich müsste sie aus Urmutter und Urweise ja auch das wissen. Sie „waltet“ aber schlafend eben nur ihr aus der Zeit davor erworbenes Wissen und war wohl seit der Geburt von Brünnhilde und dem folgenden Mutterschaftsjahr auch nicht mehr erwacht. Und die Nornen haben für ein update offenbar auch nicht mehr vorbeigesehen… Sorin Coliban sang einen soliden Fafner aus einer Höhe, wo sich normalerweise nur der Waldvogel aufhält. Der wiederum wurde angenehm und für Siegfried nachvollziehbar motivierend von Maria Nazarova in ihrem Rollendebut an der Wiener Staatsoper gesungen.

Fafner 2. Aufzug

Fafner 2. Aufzug

Bleibt last, but definitely not least der Pole Tomasz Konieczny als Wanderer, der sich unter der Leitung von Dominique Meyer offenbar als Stamm-Wotan (18 Mal?) am Ring etabliert hat. Dabei gäbe es auch andere und für das erste Haus der Welt naheliegende Kandidaten wie Michael Volle (der ihn nun an der Met machen wird), Thomas J. Mayer (erneut) oder Egils Silins. Ich habe in meinen bisherigen Rezensionen keinen Hehl daraus gemacht, dass ich die Lage und insbesondere das Timbre Koniecznys nicht für die glücklichste aller möglichen Lösungen für den Wotan/Wanderer halte. Zunächst ist natürlich festzuhalten, dass er über exzellente schauspielerische Qualitäten verfügt, die auch zu Recht immer wieder hervorgehoben werden und oft emotional wirklich einnehmend sind, was wir gerade im Finale der „Walküre“ wieder erleben konnten. Aber Konieczny hat auch als Schauspieler begonnen und den Gesang für sich erst später entdeckt. Die Stimme ist zudem sehr kräftig und absolut höhensicher, das aber eben auch deshalb, weil er ein klassischer Heldenbariton und eben kein „hoher Bass“, wie es Wagner vorschrieb, also kein Bassbariton ist. Zu gering sind dafür die so bedeutsamen gestalterischen Möglichkeiten auch und gerade in der tiefen Lage, die nicht nur der momentan so viel besprochene Theo Adam, sondern auch andere Wotane vor Konieczny in Wien, wie F. Struckmann, Thomas J. Mayer, James Morris etc. hatten. Und dann fehlt eben etwas ganz Elementares, was die Autorität und Souveränität des Wotan/Wanderers ausmacht. Das war im Zusammenspiel mit Alberich im 2. Aufzug wieder zu hören, bzw. nicht zu hören. Im 3. Aufzug trat dann doch wieder der zu einer gewissen Kopflastigkeit bis hin zum Nasalklang neigende Stimmcharakter bei auch mangelnder Diktion zutage. Ein Kollege schrieb zu dieser „Siegfried“-Aufführung, dass u.a. Koniecznys „unverwechselbares Timbre … sein Markenzeichen“ sei. Dem stimme ich zu, allerdings in einem anderen Sinne. Es ist und bleibt zumindest meiner Ansicht nach so, dass Konieczny mit diesem Timbre im „Ring“ vor allem ein guter Alberich ist, der er zu Beginn dieser Produktion mit großem Erfolg ja auch war.

Erda 3. Aufzug

Erda 3. Aufzug

Zum Schluss „leider“ auch noch ein paar Kommentare zur Produktion, da sich ja trotz früherer Anmerkungen nichts getan hat und gewisse Dinge, die man nur als – leicht abstellbare – Schlampereien bezeichnen kann, immer noch zu sehen sind. Wie kann es sein, dass Siegfried mit dem Metallschwert auf des Wanderers Speer haut, der aufgrund seiner ebenfalls metallenen Beschaffenheit natürlich nicht zerspringt, und der Wanderer dann in der ohnehin ebenfalls immer noch gewöhnungsbedürftigen Höhle Erdas verschwindet, um die beiden dort schon vorbereiteten Stücke zu suchen. Sowas gelingt in jedem B- und C-Haus (viel) besser. Die Suche nach den Bruchstücken dauert zudem so lange, dass man sich unterdessen bei einem guten Wiener Schuhmacher fast die Absätze wechseln lassen könnte. Das nimmt total die Spannung aus diesem Moment, der ja SO wichtig ist! Warum muss Erda Minuten, bevor Wotan es ihr gebietet, im Grab verschwinden, wie ein am Abend zusammen gefalteter Sonnenschirm am Strand von Rimini, wo er ihr doch noch einige wichtige Dinge zu sagen hat? Warum kann man die Wand-Öffnungen mit den Ventilatoren aus Mimes Schmiede, dort durchaus Sinn machend, im 2. und 3. Aufzug nicht verschließen? Aber was hat die Hinterwand von Mimes Schmiede überhaupt auf dem Brünhilden-Felsen zu suchen? Sie wäre sogar hier optisch völlig entbehrlich, da dahinter eine große weiße klassizistisch bis eklektisch ornamentierte Wand steht, die ohnehin als Reflektionsfläche dienen könnte, wenn es denn ein ernst zum nehmendes Lichtdesign gäbe. In der zur Zeit noch in Tel Aviv laufenden „Salome“ hat das Lichtdesign sogar eine bedeutende dramaturgische Funktion. Dass es einige der Felsen sein sollenden Camembert- oder Brie-Scheiben aus dem „Rheingold“ und dem 2. Aufzug der „Walküre“ nun auch noch auf den Brünnhilden-Felsen geschafft haben, kann wohl, allein schon wegen ihres Realgewichts, nur mit inszenatorischer Phantasielosigkeit begründet werden, zumal bei Brünnhildes Schlaflegung dort nur die acht Pferde der „Walküre“ standen. Einer der Felsen steht nun gar aufrecht und lässt durchaus wohl kaum gewollte Assoziationen mit einem Riesenpenis zu…

Brünnhilde und Siegfried 3. Aufzug

Brünnhilde und Siegfried 3. Aufzug

Ja, und dann noch zum 2. Aufzug, der von der Bebilderung her für mich der gelungenste ist, zumal der Drachenkampf durch eindrucksvolle Farbgebung, Bewegung und ein schönes Schattenspiel danach auch etwas Mythos durchblicken lässt. Wenn da nur nicht diese blöden und auch überflüssigen Rucksäcke wären! Muss der Wanderer wirklich unbedingt mit einer Riesentonne an Rucksack anrücken, um diesen kaum 10 Minuten als Sitzkissen vor dem Feuer verwenden zu können. Alberich braucht seinen eh‘ nicht, und der ebenfalls tonnengroße von Mime scheint völlig überflüssig zu sein, da gar nichts herausgeholt wird. In der Pressekonferenz vor der „Ring“-Premiere sagte Bechtolf, dass es kein „Ring“ mit Handkoffern werde. Die wären wenigstens mir lieber gewesen, also diese auch die Protagonisten störenden Rucksäcke. Das „Zelt“ kommt aus jenem von Siegfried, also bitte. Selbst dieser weiß mit dem Rucksack von Mime nach dessen auch im Tode noch sorgsam begleiteten Abgang auf die sichere Sprungmatte hinter der Bühne nichts anzufangen und tritt ihn einfach in die Kulisse. Ein Glück, dass Gould offenbar auch Fußball spielen kann, sonst hätten die Holzbläser den Sack um die Ohren gekriegt… Und schließlich: Was spricht dagegen, dass das aus Fafners Rohr sichtbar nach oben gereichte (zweite) Schuppengewand ebenfalls mit dem erlittenen Blutverlust zu zeigen? So schnell funktioniert keine Reinigung der Welt! Geschätzter Herr Bechtolf, mit so wenigen Handgriffen wären all diese shortcomings zu bereinigen – aber es geht offenbar nicht.

Ehrung KS Konieczny

Ehrung KS Konieczny

“Genug der Wort‘!” Wir warten auf einen neuen „Ring des Nibelungen“ in der Ära Roscic. Dann wäre es auch zeitlich wieder mal so weit.

Stephen Gould am Bühnentürl

Stephen Gould am Bühnentürl

Im Anschluss an die Vorstellung wurde Tomasz Konieczny zum Kammersänger der Wiener Staatsoper gekürt. Das hat er sich allein aufgrund der Vielzahl und des Schwierigkeitsgrades einiger seiner hier seit 2008 gesungenen Rollen verdient, wie Alberich, Wotan und Wanderer, Dreieinigkeitsmoses, Mandryka, Jack Rance, Don Pizarro, Kurwenal, Cardillac, Jochanaan, Telramund, Kaspar und Peter in „Die Weiden“. Gerade hat er mit dem Gunther debutiert und wird im Mai 2019 auch noch den George Danton singen. Laut Direktor Dominique Meyer ist langfristige Treue zum Haus, etwa über 10 Jahre, ein wichtiges Kriterium für die Verleihung des KS-Titels. Und sicher auch Zuverlässigkeit, beispielsweise beim Einspringen. Konieczny hat hier mittlerweile 166 Abende in 21 Rollen gesungen. Bei der Ehrung zugegen waren auch Axel Kober, Christopher Ventris (Siegmund), Iréne Theorin, Stephen Gould, Herwig Pecoraro, Monika Bohinec und andere.

Fotos: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper 1-7; K. Billand 8-9

Klaus Billand

Der Ring des Nibelungen

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