GENF: "Der Ring des Nibelungen" - 13.-18. Mai 2014

Grand Théâtre de Genève - GTG

Grand Théâtre de Genève - GTG

Seit März 2013 schmiedete das Grand Théâtre de Genève (GTG) zum 200. Geburtstag Richard Wagners am „Ring des Nibelungen“, und zeigte nach seinem Abschluss mit der „Götterdämmerung“ Ende April im Mai zwei Zyklen der Neuinszenierung von Dieter Dorn und seinem langjährigen Bühnen- und Kostümbildner Jürgen Rose. Von den Altmeistern Dorn/Rose und der dramaturgischen Unterstützung durch Hans-Joachim Ruckhäberle („Zu allen Zeiten ist der Mythos Wahrheit“) war sicher kein Wagnersches Regietheater zu erwarten. Sie zeigen aber mit großer gestalterischer Kompetenz und einer ausgezeichneten Personenregie, wie man auch heute noch die Rolle des Mythos im „Ring“ sinnhaft dokumentieren und in Beziehung zum musikalischen Gehalt setzen kann. Von einigen überflüssigen Details abgesehen war es ein nahezu ständig unterhaltsamer und handlungsintensiver „Ring“, zumal einige neue, aber immer in Einklang mit Wagners Vorgaben stehende Einfälle zu erleben waren. Heinz Wanitschek kümmerte sich um eine Perfektionierung des körperlichen Ausdrucks, was alle ProtagonistInnen beeindruckend umsetzten. Die gute Lichtregie von Tobias Löffler sorgte für passende Stimmungswechsel und sublime Untermalung des Geschehens auf der oft bis an die Brandmauer ausgespielten Bühne des GTG – das allein schon ein großes Verdienst für jeden „Ring“-Regisseur.

Das Rheingold 1. Szene

Das Rheingold 1. Szene

Das Regieteam nahm offenbar Wagner beim Wort, ohne dass die Produktion altbacken wirkte – ein schmaler Grat, auf dem es sich dank exzellenter Werk-Kenntnis geschickt bewegte. Bezüge zur Realität vergangener Jahrzehnte wurden als Video-Clips von Jana Schatz vor das „Rheingold“ Vorspiel gesetzt, als ob man suggerieren wollte, dass alles, was dann nach Wagner zu sehen war, auch in unserer jüngeren Vergangenheit geschehen sein könnte. Dennoch konnte dieser recht lange Vorspann mit seinen Abbildungen von Realitäten des 20. Jahrhunderts, wie Brigaden unter Hammer und Sichel, Kapitalismuskritik, Kampftruppen und Bombern, Kriegs- und Erschießungsszenen sowie einiges mehr aber doch nicht überzeugen – zu wenig drang im „Rheingold“ selbst und an den Folgeabenden von dieser Thematik durch. Es gab auch keine weiteren Videos mehr. Dieser optisch-dramaturgische Prolog blieb somit relativ wirkungslos im Hinblick auf Assoziationen während des neuen Genfer „Ring“.

Schlussapplaus Das Rheingold

Schlussapplaus Das Rheingold

„Das Rheingold“ wird weitgehend spannend und abwechslungsreich erzählt. Dorn und Rose bemühen sich, das Geschehen ständig in Bewegung zu halten, auch um zu zeigen, dass im „Ring“ wie im menschlichen Leben alles fließend ist. So beginnt Alberich zunächst rollschuhfahrenden Rheintöchter-Doubles zu gefallen, während sich kastenartige Holzaufbauten, auch an den übrigen drei Abenden immer wieder zu wechselnden Spielebenen zusammen setzen. Schwarz neutralisierte Bühnenarbeiter und auch dramaturgisch begründbare Statisten sind an allen Abenden zu sehen. Sie bildeten ja stets ein Regieelement Dorns – man denke an die Lemuren seiner Bayreuther „Holländer“-Produktion. Nicht alle Tage ist aber zu erleben, dass das Schwert dezidiert mit dem Hort auf die Bühne kommt, Fafner es als wertlos, da aus Eisen, erkennt und wegwirft und Wotan es dann beim Siegfried-Motiv („der große Gedanke“) in die Höhe hält. Auch konnte die Idee gefallen, dass Fafner mit dem Hort bis zum Ende auf der Bühne bleibt und bereits – in Vorahnung zu „Siegfried“ – den Tarnhelm aufsetzt… Das Regieteam nutzte immer wieder solche Aktionen, um Klammern um diesen „Ring“ zu legen, Verweise auf künftige Entwicklungen. Dazu gehörten auch die an den drei ersten Abenden mit einem großen Seilknäuel über die Bühne wandelnden Nornen-Statistinnen – eine interessante Symbolik der chronologischen Schicksalhaftigkeit der „Ring“-Handlung.

Die Walküre - Das Walküren-Oktett

Die Walküre - Das Walküren-Oktett

„Die Walküre“ beginnt mit Wotans runenübersätem Speer vor dem Vorhang, der bis zum „Siegfried“ intensiv als Lenker des Geschehens auf der Bühne agiert, auch wenn er nach Wagner nicht zu sehen sein sollte – natürlich von den Betroffenen unbemerkt. Die Weltesche erinnert an eine jener lianenartig über alte Tempel in Angkor Vat im fernen Kambodscha wachsenden, mythisch anmutenden Bäume. Im 2. Aufzug war endlich einmal ein sinnvoll dramatisierter Wotan-Monolog zu erleben. Der Gott entledigt sich nach und nach seiner Umhänge und Rüstung und schließlich sogar der Binde über dem verlorenen Auge, so wie auch sein Monolog ja eine völlige Bloßstellung vor Brünnhilde ist. Gleichzeitig kommen zu der nicht nur hier situationsgerechten Lichtregie ständig neue Spiegel von unten herauf und reflektieren Wotans ganze Tragik gewissermaßen ins Publikum, symbolisieren aber auch, dass seine Botschaften nicht so geheim bleiben, wie er es sich wünscht. So erhält dieser Monolog eine orakelhafte Mystik und vermittelt dennoch viel Emotion. Ähnlich intensiv wird auch die Todesverkündigung durch Brünnhilde inszeniert. Für weitere emotionale Momente sorgt Brünnhildes dezent geführtes Miniaturpferd Grane.

Siegfried: Lundgren und Fox

Siegfried: Lundgren und Fox

Der „Siegfried“ erlebt auch bei Dorn/Rose einen gewissen Spannungsabfall, denn in allzu dunklen Bühnenbildern werden Wagners Regieanweisungen oft allzu wörtlich genommen und lassen so die bis dahin zu erlebende große Linie etwas verloren gehen. Der so oft kolportierte Scherzo-Charakter des „Siegfried“ kann sich auch dezenter und subtiler, und dabei sogar nachhaltiger äußern. Eine Art dunkler, sich ständig im eingefächelten Wind bewegender Baum, einer riesigen Bananenstaude ähnelnd, bietet im 2. Aufzug interessante Poesie durch Liebepaare im Innern der Äste. Zu Wagners lyrischen Motiven suggerieren die Pärchen zärtliche Zuneigung. Allerdings hätte im Kontrast dazu Fafners Stimme aus dem Off imposanter verstärkt werden können. Der Riese wird mit einem gigantischen dreigesichtigen – wohl ungewollt etwas karnevalesk wirkenden – Zyklopenkopf gezeigt. Wie in Aidan Langs „Ring“ in Manaus 2005 läuft der Waldvogel als junges Mädchen mit einem flatternden Vogel am Stab über die Bühne und weist Siegfried aus sicherer Deckung Rat und Weg. Schmetterlingsartig kreisen über allem weitere bunte Vögel, vielleicht ein paar zuviel… „Frisch“ wirkte der Wald trotz dieser Farbtupfer jedoch nicht.

Götterdämmerung: Kränzle und Daszak

Götterdämmerung: Kränzle und Daszak

In der „Götterdämmerung“ sieht man eine grellweiß abgesetzte Box als Gibichungenhalle auf den dunklen Versatzstücken der alten Welt. Die Gibichungen-Welt um Hagen und Gunther hat sich gewissermaßen wie ein Fremdkörper, der sie ja bis zum Ende bleiben wird, in dieses mythologische Umfeld hineingeschoben, welches am linken Bühnenrand weiterhin durch dezent gestaltete Masken der alten Götter angedeutet wird. Damit war ein Kontrast geschaffen, der sich sinnhaft auch in dem Purpurrot-Gold der Kostüme Gunthers und Gutrunes von den viel schlichteren Brünnhildes mit einem himmelblau-grauen Gewand und auch allen weiteren absetzte. Gelegentlich wird den alten Göttern Referenz erteilt, mal von ein paar verhüllten Frauen mit Fackelschein, mal von Gunther, als er sich von Hagen betrogen fühlt. Oder auch von Alberich, der allerdings in seinem Zwiegespräch mit Hagen die Maske Wotans rachedurstig vom Sockel tritt. Das häufige Wedeln mit schwarzen Tüchern durch die allzu sichtbaren Bühnenarbeiter im 2. Aufzug, um den wogenden Rhein zu simulieren, sowie in der Rheintöchter-Szene und im Finale wirkt allerdings doch etwas zu altbacken. Im Finale versinkt die alte Welt mit der Gibichungenhalle im Untergrund. Zu den großen Linien des Walhall-Motivs taumeln daraufhin die fünf Götter langsam aber sicher in Manier der valenzianischen Fura dels Baus vom Schnürboden in den Abgrund. Zum Motiv der Mutterliebe Sieglindes sieht man schließlich auf eine leere weite Bühne – das Spiel kann von Neuem beginnen. Ein ausdrucksstarker Schluss!

Götterdämmerung: Daszak und die Rheintöchter

Götterdämmerung: Daszak und die Rheintöchter

Petra Lang, die in diesem Zyklus zum ersten Mal alle drei Brünnhilde-Partien in einem „Ring“ verkörperte, bestach durch ihre stets auf feiner gesanglicher Linie liegende Tongebung und eine sehr emphatische darstellerische Leistung mit stets passender Mimik und sehr guter Diktion. Dazu kam großartige Höhensicherheit – das hohe C nicht nur im Vorspiel der „Götterdämmerung“ war perfekt und länger gehalten als von so mancher Hochdramatischen. John Daszak hatte den Siegfried stets im Griff und sang ohne Anstand praktisch alle Noten. Sein durchaus heldisch timbrierter Tenor wird stabil geführt und ist auch sehr wortdeutlich. In der Höhe wird die Stimme jedoch recht schlank, es fehlt ihr an Wärme uns bisweilen auch an Resonanz. Dafür spielte Daszak mit großem darstellerischem Engagement. Tom Fox ist immer noch ein imposanter Wotan („Rheingold“ und „Walküre“) mit enormer darstellerischer und stimmlicher Autorität. Mit seiner guten Technik kann er den wohlklingenden Bassbariton auch in sichere Höhen führen. Kleinere und bei seinem doch schon fortgeschrittenen Alter verständliche Ermüdungserscheinungen fielen dabei kaum ins Gewicht. Tómas Tómasson gestaltete mit viel Empathie einen etwas hell intonierenden Wanderer, dessen Bariton es jedoch an Wärme und auch Charisma missen lässt. Elena Zhidkova beherrscht die Fricka perfekt und gestaltete sie intensiv und mit expressiver Mimik. Ihr bestens artikulierter, etwas heller, aber sehr ausdrucksstarker Mezzo war bis auf jedes Wort zu verstehen. Will Hartmann sang den Siegmund mit großer Authentizität, baritonal schön grundiertem Timbre und durchaus guter Höhe, auch wenn seine Stimme (noch) nicht das große Volumen hat. Michaela Kaune stand ihm an darstellerischer Intensität nicht nach und brachte die erforderliche stimmliche Kraft mit. Ihre Sieglinde war aber nicht immer wortdeutlich, und die Höhen klingen etwas fahl. Günther Groissböck gab eine ungewöhnlich intensive Darstellung des Hunding mit seinem für diese Rolle ausgezeichnet geeigneten kraftvoll prägnanten Bass, bei bester Diktion. Eine Überraschung war der noch sehr junge Jeremy Milner als Hagen. Sein heller Bass ist klangvoll und kräftig, bei guter Höhe und Diktion. Er gab den Nibelungensohn als finsteren Beobachter der Situation, der aus der Deckung operiert.

Die Walküre - Lang und Fox

Die Walküre - Lang und Fox

Corby Welch mit seinem Debut am GTG war ein klangvoller, geschmeidig singender Loge mit heldischem Aplomb. Andreas Conrad gab eine bestechende Charakterstudie als Mime mit seinem klar artikulierenden und durchschlagskräftigen Tenor. Beeindrucken konnte auch der stimmlich exzellente Steven Humes als Fafner mit einem bestens artikulierenden frischen Bass. Die dunkel und eindrücklich mahnende Maria Radner als Erda bestach mit einem tiefen und mit viel Melos warm artikulierenden Mezzo. John Lundgren war ein stimmstarker Alberich mit bisweilen zu starkem Hang zum Deklamieren, aber intensiver Darstellung. Edith Haller war mit ihrem klaren, gut geführten und bisweilen leicht ins Dramatische gehenden Sopran eine Luxusbesetzung der Gutrune. Johannes Martin Kränzle sang den Gunther mit einem geschmeidigen, klangvollen Bariton und konnte der Rolle eine gewisse Tragik vermitteln. Michelle Breedt, sonst eine gute Fricka, liegt mit ihrer Stimmlage für die Waltraute zu hoch und konnte so keinen Kontrast zu der ebenfalls in der Sopranlage singenden Petra Lang als Brünnhilde bieten. Maria Radner verkörperte eine ausgezeichnete Erda mit einem tiefen und mit viel Melos warm artikulierenden Mezzo. Agneta Eichenholz war eine sehr gute und agile Freia. Thomas Oliemans konnte als Donner und Christoph Strehl als Froh überzeugen. Alfred Reiter blieb hingegen als Fasolt stimmlich etwas blass. Regula Mühlemann zwitscherte festspielreif den Waldvogel mit ihrem lyrischen, äußerst wohlklingenden Sopran. Die Rheintöchter Polina Pasztircsák als Woglinde, Stephanie Lauricella als Wellgunde und Laura Nykänen als Flosshilde waren ein stimmlich und darstellerisch sehr gutes Ensemble. Das Nornenterzett bestehend aus Eva Vogel, Diana Axentii und Julienne Walker hatte für ihre Erzählungen hingegen kein allzu großes Volumen. Das Walküren-Oktett war sehr gut besetzt und wirkte im Ensemble äußerst klangvoll – Katja Levin (Gerhilde), Marion Ammann (Ortlinde), Lucie Roche (Waltraute), Ahlima Mhamdi (Schwertleite), Rena Harms (Helmwige), Stephanie Lauricella (Siegrune), Suzanne Hendrix (Grimgerde) und Laura Nykänen (Rossweiße). Der von der Genfer Chordirektorin Ching-Wien Lu hervorragend einstudierte Chor entfaltete in der Gibichungenbox enorme und dennoch transparente Stimmkraft, war aber auch im weiteren Bühnenraum sehr gut choreografiert.

Schlussapplaus Götterdämmerung mit Rose, Dorn, Lang

Schlussapplaus Götterdämmerung mit Rose, Dorn, Lang

Ingo Metzmacher dirigierte das Orchestre de la Suisse Romande mit viel Liebe zum Detail und einer vorwiegend auf lyrische Zwischentöne setzenden Lienenführung. Metzmachers leicht federndes, stets auf die SängerInnen eingehendes Dirigat sorgte für viel Harmonie zwischen Bühne und Graben, und das bei einem tief ausgespielten Bühnenraum, der doch einigen Klang „verschlucken“ kann. Dabei lag ihm offenbar viel an flüssigen Tempi. Immer wieder waren die Soloinstrumente mit großer Transparenz und besonderer Artikulation herauszuhören, sodass manches direkt kammermusikalisch wirkte. Gleichwohl verstand es Metzmacher, dramatische Akzente zu setzen, wo sie gefragt waren, um die emotionale Aussage auf der Bühne zu untermauern. Jegliche Bombastik war ihm dabei offenbar fremd. Auch die großen Orchester-Nummern wie die „Rheingold“ und „Walküre“-Finali, Siegfrieds Aufstieg zum Brünnhildefelsen, der Trauermarsch oder das Finale der „Götterdämmerung“ klangen analytisch transparent ohne jedes Pathos. Nur gelegentlich waren einige kleinere Unebenheiten und Einsatzprobleme zu bemerken, die den insgesamt guten musikalischen Eindruck dieses wohl ersten zyklischen „Ring des Nibelungen“ durch Ingo Metzmacher nicht trübten.

Fotos: GTG/Carole Parodi
Applaus und GTG: Klaus Billand

Klaus Billand

Der Ring des Nibelungen

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