COTTBUS: SIEGFRIED – WA am 16. Juni 2012
Siegfried 1. Aufzug
Mit der Neuinszenierung des „Ring des Nibelungen“ in der Regie von Martin Schüler, seit der Saison 2003/04 Intendant und Vorstandsvorsitzender der Brandenburgischen Kulturstiftung Cottbus und seiner Dramaturgin Carola Böhnisch beweist das Staatstheater Cottbus einmal mehr, dass Wagners opus summum auch mit den beschränkten Mitteln eines Hauses der sog. Provinz überzeugend darzustellen ist.
Diese macht ohnehin in den letzten Jahren immer mehr mit guten und sinnhaften Wagner-Produktionen von sich reden. Man begann in dem bemerkenswert schönen Jugendstil-Haus mit eklektischen Elementen des Architekten Bernhard Sehring bereits 2003 mit „Das Rheingold“, setzte die Tetralogie 2008 mit „Die Walküre“ fort und brachte 2011 „Siegfried“ heraus, der zum Ende der Spielzeit 2011/12 noch einmal aufgeführt wurde, bevor der „Ring“ zum 200. Geburtstag Richard Wagners 2013 mit der „Götterdämmerung“ abgeschlossen werden soll.
Siegfried und Mime 2. Aufzug
Sympathisch bescheiden bezeichnet die Intendanz den Cottbusser „Ring“ als semiszenisch. Vor dem Hintergrund manch anderer „Ring“ Produktion, auch an ganz großen Häusern – man denke nur an den alten Adolf Dresen-„Ring“ an der Wiener Staatsoper – ist diese Bescheidenheit durchaus unbegründet, auch wenn man bedenkt, das aufgrund der Größe des Hauses das Orchester hinter der Bühne postiert ist.
Das wird beispielsweise auch am viel größeren Anhaltischen Theater Dessau bei dort selbstverständlich als szenisch konzipierten Wagner-Inszenierungen so gehandhabt. Das einzige Problem, das sich in Cottbus mit der Verlegung des Orchesters nach hinten und der Positionierung der SängerInnen praktisch gleich vor dem Parkett ergibt, ist eine zumindest an diesem Abend bisweilen nachteilig ins Gewicht fallende überhöhte Lautstärke mancher Sänger, natürlich auch begünstigt durch das relativ kleine Volumen des Zuschauerraums. Dem wäre freilich mit einer Empfehlung, leiser zu singen, sowie entsprechenden Proben, leicht abzuhelfen.
Siegfried und Fafner 2. Aufzug
Mit recht einfachen Mitteln, die aber die „Siegfried“-Thematik und Problematik unmittelbar erlebbar werden lassen, hat Gundula Martin die Bühne ausgestattet. Da gewahrt man gleich einige Küchenutensilien in Mimes Schmiede, die mit etwas übertriebener Intensität lautstark in Szene gesetzt werden. Hardy Brachmann singt den Zwerg mit einem zunächst nicht immer sauber intonierenden Tenor, der sehr baritonal unterlegt ist, gleichwohl aber mit guten und fast heldischen Höhen aufwartet. Im 2. Aufzug tritt der Drache Fafner gleich als riesiger Mensch im eleganten schwarzen Abendanzug in Erscheinung, zunächst hinten mit Sprachrohr auf seinen Goldbarren sitzend. Der junge Ingo Witzke singt den Riesen imposant mit einer gut geführten, klaren Bassstimme. Mime muss einen Stacheldraht, der an die unseligen DDR-Grenzbefestigungen erinnert, aufschneiden, um Fafners Areal zugänglich zu machen. Zu einem profanen Kampf mit Siegfried kommt dieser dann nach vorn und wird schließlich unter Kiefernbüschen gemeinsam mit Mime rustikal zur Ruhe gebettet. Unterdessen agieren Wotan und der Waldvogel von der Proszeniumsloge aus… Cornelia Zink singt das personifizierte Federvieh mit einem anmutigen Koloratursopran. Aufhorchen lässt Andreas Jäpel als Alberich mit seinem kräftigen und bestens geführten Bariton sowie exzellenter Diktion. Er liefert sich mit Mime ein komödiantisches Kabinettstückchen um Hort und Tarnhelm. Das alles wirkte sehr lebhaft, ideenreich und ganz dem Scherzo-Charakter des „Siegfried“ entsprechend – ideal auch für noch wenig „Ring“-erfahrene Besucher. Bis hierhin und erst recht im 3. Aufzug war stets viel feine Psychologie im Spiel, die dazu beitrug, dass die Spannung nie abbrach und der Abend kurzweilig über die Bühne ging.
Waldweben 2. Aufzug
Einen szenischen und dramaturgischen Höhepunkt setzte dann der Erda-Auftritt mit dem Wanderer zu Beginn des 3. Aufzugs. Wie sich die große und völlig weiß gekleidete Marlene Lichtenberg als Urmutter mit göttlichen Zügen langsam aus den dichten Tüchern ihres langen Schlafes herauswindet, sich mit Wotan ein subtiles Zwiegespräch über die letzten Wahrheiten liefert und wieder in den Tüchern verschwindet, brachte die auch musikalisch angezeigte Fallhöhe und Bedeutungsschwere in die Aufführung. Die sehr jugendlich wirkende attraktive Mezzosopranistin liefert eine emotional berührende Studie der Erda mit einem ebenso charakter- wie klangvollen Timbre – ganz offenbar ein großes neues Talent für das Wagner Mezzo- und Altfach.
Im kommenden Jahr wird sie auch die Waltraute in der „Götterdämmerung“ singen. Psychologische Finessen, einige davon wohl kaum je so gesehen, bestimmen auch das Spiel Siegfrieds und Brünnhildes, das in selten erlebter schauspielerischer und dramaturgischer Intensität ablief. Sabine Paßow begeistert mit einer darstellerisch intensiven Brünn-hilde, wobei sie einen sicher geführten jugendlich dramatischen Sopran erklingen lässt, der in der Mittellage dunkel schattiert und dennoch zu kraftvollen und bestens intonierten Höhen fähig ist.
Paßow singt zudem mit großer Wortdeutlichkeit und agiert äußerst emphatisch. Von ihr möchte man die Brünnhilde ebenso wie die Erda Marlene Lichtenbergs auch gern einmal an größeren Häusern erleben. An diesen hat der auch in Wien bekannte Peter Svensson den Siegfried freilich schon oft gesungen. Der junge Siegfried scheint ihm irgendwie auf den Leib geschrieben zu sein. Die Rolle entspricht seinem jugendlich frisch wirkenden Naturell und seiner damit verbundenen großen Emotionalität.
Sabine Paßow, Brünnhilde
Der charismatische Svensson geht sie mit intensiver und manchmal die physischen Grenzen streifenden Agilität und Empathie an und hat auch den nötigen heldentenoralen Aplomb. Während er im 1. Aufzug noch etwas zu deklamativ und bisweilen auch etwas rustikal und allzu kraftbetont singt, erreicht er seine besten stimmlichen Momente im 3. Aufzug, in dem er auch einige gute Legati hören lässt. Irgendwie hat man den Eindruck, dass Svenssons kraftvoller und baritonal schön grundierter Heldentenor mit etwas technischer Feinarbeit noch runder und musikalischer klingen könnte.
Leider konnte Jacek Strauch, den der Rezensent schon in den 1990er Jahren als wenig überzeugenden Wotan in Graz erlebte, als Wanderer nicht an das Niveau der übrigen SängerInnen heranreichen. Uninspiriert wirkend, sang er recht einsilbig – man hörte kaum einmal eine situations-gerechte Phrasierung, obwohl seine gute Diktion als eine notwendige Voraussetzung dafür ge-geben wäre. Zudem auch noch in ein total unpassendes banales Golfspieler-Outfit gesteckt, wirkte Strauch uncharismatisch und sang fast ständig viel zu laut, wenn auch gelegentlich ein schönes Legato gelang, und er offenbarte einige Text-unsicherheiten.
Marlene Lichtenberg, Erda
Ganz beachtlich war auch das musikalische Niveau der Aufführung unter der Leitung von Evan Christ. Unter seiner engagierten Stabführung fand das Philharmonische Orchester zu guter Dynamik und einem kraftvollen, runden Wagner-Klang. Christ setzte klare und zu den bewegten Bildern passende Akzente und konnte dabei auf das im „Siegfried“ so wichtige schwere Blech vertrauen, welches einen besonders guten Tag hatte. Wunderbar abgesetzt von den unergründlichen Tiefen des Vorspiels zum 2. Aufzug ertönte ein lyrisches und fein ausmusiziertes Waldweben, das auch optisch durch intelligente Lichtregie wirkungsvoll in Szene gesetzt wurde. Das so wichtige Vorspiel zum 3. Aufzug und das Orchesterzwischenspiel zum Aufstieg auf den Walkürenfelsen ließen nichts an dramatischer Dichte und Klarheit in den einzelnen Gruppen vermissen.
Mit seinem „Ring“- Projekt ist das Theater Cottbus weiter auf einem sehr guten Weg, und man darf auf die „Götterdämmerung“ am 30. März 2013 gespannt sein.
Fotos: Marlies Kross/Klaus Billand
Klaus Billand