WIEN: „Siegfried“ - 5. Juni 2014

2. Aufzug

2. Aufzug

Mit dem Verzweiflungsspruch „Zwecklose Mühe! Müh’ ohne Zweck!“ beginnt Herwig Pecoraro in einer nicht uninteressanten semantischen Abwandlung des Wagnerschen Originaltextes „Zwangvolle Plage! Müh’ ohne Zweck!“ diesen Wiener „Siegfried“ in Fortführung des im Mai begonnenen ersten „Ring“-Zyklus’ dieser Saison und hat ebenso wie Stephen Gould an diesem Abend leichte stimmliche Anlaufschwierigkeiten. Diese legen sich im Zusammenspiel der beiden über den ihnen von Regisseur Sven-Eric Bechtolf auferlegten Aktivismus aber schnell. Im weiteren Verlauf wird die bestens zum Rollenprofil des Mime passende Stimme Pecoraros mit ihrer charaktertenoralen Färbung immer artikulierter. Er weiß auch darstellerisch zu beeindrucken, zumal sich das zu Beginn dieser Produktion 2008 noch so störende deppenartige Herumgetippel dieses doch ganz bösen Charakters durch den jahrelangen Repertoire-Abschliff weitgehend gelegt hat. So wirkt die Figur nun auch viel glaubwürdiger.

Stephen Gould, der momentan wohl beste Siegfried weit und breit, kommt wie gewohnt mit großem Elan aus dem vermeintlichen Wald, der neben dem geografisch naheliegenden Schwarz- und Rotwild unerklärlicherweise auch tropische Gazellen und ähnliche Vierbeiner aus fernen Klimazonen zu vereinen scheint (Universalität des „Ring“ einmal ganz tierisch, aber wohl allzu rustikal…). Gould bestimmt nach kurzer Zeit die Dynamik des 1. Aufzugs mit seinem total authentisch wirkenden Taten- und Wissensdrang und seinem herrlich intonierenden, wohlklingenden Tenor, dem man mittlerweile durchaus das Prädikat eines Heldentenors mit lyrischer Kompetenz verleihen kann. Denn Gould besticht immer wieder mit feiner stimmlicher Linienführung, gefühlvollem Legato, dabei nie in Frage stellend, dass er genau weiß, was er singt. Seine Stimme hat auch aufgrund seiner guten Technik stets große Resonanz, die zu einem runden und warmen Klangbild führt – und das alles bei schier unendlicher stimmlicher und physischer Kraft sowie bester Diktion. Bei Gould versteht man in der Tat jedes Wort!

Dies kann man einmal mehr von Tomasz Konieczny als Wanderer nicht sagen. Er fällt vor allem stimmlich stark gegen diese beiden Protagonisten ab mit seinem weitgehend unisono und unbeweglich vorgetragenen Bariton, mit zu wenig Resonanz und Tiefe, aber auch einem Mangel an Zwischentönen im stimmlichen Ausdruck. Hinzu kommt der immer wieder allzu guttural und bisweilen verquollen nasal wirkenden Klang seiner Stimme. Es wäre wohl besser, würde sich Konieczny wieder dem Alberich zuwenden. Bei dem scheint er besser aufgehoben, auch wenn dort diese Probleme nicht wegfallen, aber seine Art zu singen eher zur Rolle des Nibelungenfürsten passt, bei dem nicht unbedingt Schöngesang erwartet werden muss. Göttliche Souveränität ging an diesem Abend von Koniecny jedenfalls nicht aus. Es ist wohl kein Zufall, dass sich erfolgreiche Wotane allenfalls erst zum Ende ihrer Karriere, und damit nach dem Wotan, dem Alberich zuwenden. Dafür gibt es einige prominente Beispiele, u.a. Theo Adam, weit wenigere jedenfalls für das gleichzeitige, den gegebenen Ansprüchen genügende Singen beider Rollen. Jochen Schmeckenbecher mit seinem Rollendebut als „Siegfried“-Alberich am Ring zeigt, wie „schön“ man auch einen Alberich singen kann. Der Sänger kann mit bester Phrasierung und großer stimmlicher Ausdruckskraft aus der Rolle auch ein emotionales Erlebnis machen. Sicher einer der besten seiner Zunft in unseren Tagen. Ain Anger ist wieder der wie gewohnt stimmlich erstklassige Fafner, der mit seiner optisch starken Darstellung als überhöhter todwunder Riese auch visuell eine gute Figur macht.

Überhaupt scheint die Kampfszene im 2. Aufzug die optisch gelungenste dieser „Siegfried“ Inszenierung zu sein, da sie eine gewisse mythische Symbolik mit auch farblich eindringlichen optischen Eindrücken und Assoziationen durch die Video-Optik von fettFilm verbindet. Leider wird der gute Eindruck wenig später wieder relativiert, wenn Mime nach einem wunderlich wirkenden Einzug von Siegfrieds Schwert in seinen Körper mit diesem recht gemütlich nach hinten schreitet, passenderweise genau an der hinteren Bühnenkante zusammensinkt und – bereits aus dem 1. Rang klar sichtbar – umgehend mit dem Aufzug nach unten befördert wird. Ab in die Kantine, wo er doch erst noch mit der Schlangenhaut Fafners abgedeckt werden soll – traurige Lieblosigkeit und mangelnde Authentizität des Repertoiretheaters… Absolut entbehrlich erscheinen weiterhin die banalen Rucksackorgien im 2. Aufzug. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass Siegfried zum Aufzug-Schluss den größten wegen Überladung entnervt ins „Aus“ kickt. Er kommt doch später auf dem Brünnhilde-Felsen auch ganz ohne aus, warum nicht im ganzen Stück, Herr Bechtolf?! Der szenische Tiefpunkt scheint aber die Straßenarbeiter-Ästhetik der Erda-Szene zu sein, wenn auch mittlerweile die Schaufelfreudigkeit des Wanderers repertoiretheaterbedingt nachgelassen hat. Dass Siegfried immer noch auf dessen Metallspeer hauen muss und der Wanderer dann im Loch umständlich nach zwei anderen Stücken suchen muss, entbehrt eigentlich jeden Kommentars, ebenso wie sein Versinken in dem Baustellen-Loch.

Íride Martínez singt den Waldvogel allzu undeutlich as dem Off. Das klang hier schon mal besser, aber mit dem Sängerknaben von Ioan Holender auch schon schlechter. Janina Baechle singt mit ihrem für diese Rolle besonders qulaifizierten farbigen Mezzo eine klangvolle Erda, auch mit dem entsprechenden darstellerischen Ausdruck. Sie kann ja nichts dafür, dass Bechtolf sie bereits Minuten vor Wotans Rufen „Hinab“ in die Baugrube schickt… Nach einer wieder recht reizvollen Entschleierung durch Siegfried nimmt Nina Stemme das Publikum als Brünnhilde schließlich mit der außergewöhnlichen Stimmkultur ihres warm timbrierten Soprans ein, wobei besonders ihre farbig leuchtende Mittellage überzeugt. Hinzu kommt ein mimisch stets situationsgerecht akzentuiertes Spiel mit großer Empathie. Allein die Wortdeutlichkeit ist nicht immer ganz gegeben. In jedem Falle ist ein Finale mit Gould und Stemme im „Siegfried“ immer noch mit das Beste, was man derzeit in einer „Siegfried“-Aufführung erleben kann.

Der Abend wurde aber auch durch das einfühlsame Dirigieren von Jeffrey Tate am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper zu einem musikalischen Erfolg. Mit seinem außerordentlich ruhigen und exakten Schlag lässt er das Musikdrama atmen, den Musikern die nötige Freiheit, um ihre jeweiligen Phrasen auszumusizieren. Dabei wird nie der große Bogen außer Acht gelassen, und die dramatischen Höhepunkte werden, durchaus hier und da mit einem gewissen Pathos, eindrucksvoll und emotional hervorgehoben. Das Publikum dankte es Tate mit einem begeisterten Auftrittsapplaus zu Beginn des 3. Aufzugs. Und er dankte es ihm umgehend mit einem wunderbar dynamisch und transparent musizierten Vorspiel…

Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Klaus Billand

Der Ring des Nibelungen

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