MÜNCHEN/Opernfestspiele: Der Ring des Nibelungen - NI 10.-15. Juli 2012
Rheingold 2. Bild
Zu Beginn der Münchner Opernfestspiele an der Bayerischen Staatsoper hatte der neue „Ring des Nibelungen“, der bemerkenswerterweise innerhalb nur einer Saison auf die Beine gestellt wurde, seine ersten beiden zyklischen Durchgänge. Der deutsche Theaterregisseur und Regisseur dieser Münchner Neuinszenierung pünktlich zum Wagner-Jahr 2013, Andreas Kriegenburg, hatte schon im Vorfeld angekündigt, dass er die „Ring“-Geschichte nicht thematisch einengen würde. Für ihn ist „Theatermachen ein utopisches Motiv. Indem man miteinander kreativ ist, wird eine Nähe erreicht, die es möglich macht, einander zuzuhören.“ Das „Spiel als utopischer Raum“ ist Kriegenburg mit dem Einsatz zahlreicher Statisten, die die Symbole des „Ring“ mit ihrer Körpersprache in choreographischen Bildern umsetzen, im Prinzip nur im „Rheingold“ und im „Siegfried“ zeitweise eindrucksvoll gelungen.
Die vornehmlich mythischen Figuren und Elemente in diesen beiden „Ring“-Teilen und die entsprechenden Handlungsabläufe begünstigen den Einsatz von Statisten in symbolhaft verklärten Menschenbildern und sinnlichem Spiel. In Erinnerung bleiben die sich wundersam im Takt der Musik bewegenden blau bemalten jungen Menschen im Adam und Eva-Kostüm, die die Wogen des Rheins nachahmen, sowie die Rheintöchter, die sich gut choreografiert (Zenta Haerter) mit Alberich darin ihr brutales Verführungsspiel leisten. Phantasievoll bilden diese Statisten, etwa 60 an der Zahl, später symbolhaft die Zinnen von Walhall mit ihren Körpern. Ein Motiv, das im „Siegfried“ zurückkehrt und eine interessante dramaturgische Klammer über diesen „Ring“ bildet – freilich nur bis zum „Siegfried“. Ganz witzig im Kontext ist auch der Auftritt der Riesen, die mit aus Menschleibern geformten Quadern auftreten und sozusagen leibhaftig ihr von Loge so gepriesenes Baumeistertum, aber auch dessen menschliche Folgen, zur Schau stellen. Bestechend auch die Ästhetik des wahrlich beklemmend wirkenden, unterirdisch erzglühenden Nibelheims, wo endlos Fron vorgeführt wird und das unmittelbare Vergasen droht, wenn die schwere Goldlast nicht mehr gestemmt werden kann. Allerdings wirkte es auf die Länge wegen dauernder Wiederholung dann doch langweilig.
Walküre 2. Aufzug
Ein ganz großer Wurf gelang dem Regieteam mit der Darstellung der Erda sowohl im „Rheingold“ wie im „Siegfried“ beim Streben nach der Schaffung des utopischen Raums. Die Urmutter kommt inmitten einer großen Zahl von erdbemalten, kreisförmig um sie kriechenden Statisten langsam nach vorn, ihre elementaren Weisheiten verkündend. Die Krieger erinnern stark an die von Leni Riefenstahl einst so eindrucksvoll in Bild und Film festgehaltenen Nubier im Zentral-Sudan der 1960/70er Jahre.
Auch bei der Darstellung des Drachen Fafner im „Siegfried“ und der Bäume beim Waldweben wirkt und agiert das Agglomerat aus Menschenleibern mythisch sinnhaft und eindrucksvoll, wenngleich gerade hier die Nähe zur akrobatischen Arbeitsästhetik der katalanischen Gruppe La Fura dels baus sehr groß ist. Manches, was man in diesem „Ring“ sah, hatte die Fura in ihrer Inszenierung in Valencia schon sehr ähnlich verwirklicht. Und es gab auch noch eine ganze Reihe anderer déjá-vus aus „Ring“-Produktionen der jüngeren Vergangenheit, unter anderen auch jener von Tankred Dorst in Bayreuth, dessen 1. „Rheingold“-Bild für das Münchner hätte Pate stehen können…
Walküre 1. Aufzug
Die Stunde der Wahrheit für solche gewagten und in der szenischen Umsetzung nicht ganz einfachen Konzepte kommt jedoch in den Ebenen der langen Monologe und Dialoge der „Walküre“, und natürlich in der „Götterdämmerung“, mit ihren oft nur wenigen Protagonisten.
Das scheinbar endlose Servieren ständig neuer Whisky-Portionen durch die schon bei Robert Carsen zu sehenden livrierten Diener im 2. Aufzug der „Walküre“ wirkte gequält. Es verkam angesichts des Wunsches „über die Welt der Körper eine andere ungewohnte Entschlüsselung der Wagnerschen Symbolik zu erzielen“, wie es Dramaturgin Marion Tiedtke formulierte, durch das Verhalten dieser Statisten zu bloßem Manierismus. Sie dienen abwechselnd Wotan und Fricka als Sitzgruppe aus Menschenleibern, bevor es mit dem servilen Getue weitergeht. Das wirkte alles zu konstruiert und letztlich banal, ebenso wie das fast endlose Herumgehopse und Gestöhne von Statisten-Walküren und das anschließende Peitschengeknalle der echten, dass sogar Kent Nagano mit seinem Orchester aus dem Tritt kam….
Weitere Beispiele für das immer wieder offenbar werdende Scheiterungspotenzial der Kriegenburgschen Körperdramaturgie ließen sich problemlos nennen, insbesondere in der „Walküre“ und auch in Teilen des „Siegfried“. Bedeutsam scheint jedoch, dass sich Kriegenburg mit seinem Bühnenbilder Harald B. Thor und der Kostümbildnerin Andrea Schraad in der „Götterdämmerung“ praktisch vollständig von seinem Regiekonzept verabschiedete. Hier war nicht viel anderes zu sehen als in jüngeren Wagnerschen Regietheater-Produktionen in Europa, nur noch eine Ecke verrückter und aufdringlicher. Es gab genau das, was er nicht wollte: Die thematische Einengung auf Besitz, Macht, Gier, Sex und alltägliche Banalität… Und dabei gab es auch hier wieder eine Reihe hinlänglich bekannter déjà-vus. Immerhin konnte das Regieteam den ganzen „Ring“ über mit einer guten und ausgefeilten Personenregie überzeugen, und die Lichtregie von Stefan Bollinger war immer Stimmungen verstärkend auf der Höhe.
Siegfried 2. Aufzug
Sängerisch konnte der neue Münchner „Ring“ mit einigen der ganz Grossen der Wagner-Szene aufwarten. Nina Stemme sang und spielte eine „Götterdämmerung“-Brünnhilde von absolutem Weltklasseformat. Stemme ist stimmlich weiter gereift, ihr Sopran scheint schwerer geworden zu sein. Stephen Gould spielte den „Götterdämmerung“-Siegfried wieder mit einer Intensität und Klangschönheit sowie Ausdauer auf höchstem Niveau. Der Sängerdarsteller ist in jeder Szene mit Herz und Verstand bei der Sache, hat eine gute Mimik und findet mit seinem heldentenoralen Timbre, welches gleichwohl stets etwas lyrisch klingt, immer den rechten Ton.
Anja Kampe verkörperte mit beeindruckender Emphase eine mitreißende Sieglinde – nicht nur durch ihr intensives und leidenschaftliches Spiel, sondern auch durch ihren in der Mittellage ebenso fülligen wie leuchtenden Sopran, der in den Höhen meist gut anspricht. Klaus Florian Vogt gestaltete den Siegmund mit einer intensiven und mimisch überzeugenden Darstellung weit glaubwürdiger als die meisten seiner derzeitigen Sängerkollegen. Sein heller Tenor, der immer wieder an Mozartsche Stimmfarben erinnert, hat bei aller Qualität an Phrasierung und Wortdeutlichkeit nicht die für den Siegmund erforderliche tenorale Durchschlagskraft. Iréne Theorin überraschte mit einer recht guten Brünnhilde in der „Walküre“ mit klangvollen Höhen, viel Emphase im Spiel, aber mangelnder Diktion. Thomas Johannes Mayer war ein „Walküre“-Wotan und Wanderer mit großer Dynamik und blendenden Höhen. In der Tiefe fehlt es ihm noch etwas am erforderlichen bassbaritonalen Volumen. Wolfgang Koch entwickelt sich immer mehr zu einem Alberich der Extraklasse, sowohl stimmlich mit seinem klangvollen und ausdruckstarken Bariton wie auch mit intelligentem Spiel. Völlig zu Recht wird er nun der Wotan im Bayreuther „Ring“ 2013 sein.
Eric Halfvarson setzte in dieser oft flachen „Götterdämmerung“ starke Akzente, darstellerisch wie stimmlich mit seinem kernigen Bass. Catherine Naglestad sang die „Siegfried“-Brünnhilde mit beeindruckenden Höhen und stimmlichem Aplomb, wirkte in der Mittellage aber nicht immer ganz auf Linie und sang auch recht wortundeutlich. Lance Ryan war der junge Siegfried mit seinem gewohnt kräftigen, manchmal zu lautstarken, etwas metallischen Heldentenor, der aber immer wieder in der Höhe eng wird, sich nicht recht öffnet und es so an Resonanz missen lässt. Darstellerisch ist er nahezu ideal für die Partie.
Ain Anger war wieder ein starker Hunding. Sophie Koch sang eine souveräne Fricka im „Rheingold“, kam aber in der „Walküre“ leicht an ihre stimmlichen Grenzen. Stefan Margita gab einen durchschlagskräftigen und agilen Loge, der umso mehr Profil gewann, als Johan Reuters Wotan weder darstellerisch noch stimmlich nennenswerte Konturen annahm. Iain Paterson wartete mit seinem klangschönem Bariton auf und spielte die undankbare Rolle des als inkompetent und verdorben gezeichneten Gunther bedrückend authentisch. Anna Gabler war eine erstklassige Gutrune, mit einem zu guter Attacke fähigen prägnanten Sopran und hoher Wandlungsfähigkeit und Attraktivität auf der Bühne.
Michaela Schuster hatte bei schöner dunkler Mittellage als Waltraute mit ihren bekannten Höhenproblemen zu kämpfen. Einem guten Rheintöchter-Terzett stand ein unter Festspielniveau singendes Nornenterzett gegenüber. Chor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper sangen unter der Leitung von Sören Eckhoff stimmstark und transparent.
Götterdämmerung 1. Aufzug
Kent Nagano leitete alle vier Abende das Bayerische Staatsorchester und konnte bei weitem nicht an die Leistungen seines Vorgängers Zubin Metha mit dessen „Ring“ am Haus heranreichen. Nagano ist bekannt als kühler Analytiker. Das klang auch in diesem „Ring“ immer wieder durch. Da wirkte vieles allzu lang, weil zu sehr zerlegt in einzelne musikalische Bestandteile, wo doch ein holistisches Ganzes, auch im Einklang mit dem Bühnengeschehen, angezeigt ist. So gab es bedenkliche Spannungsabfälle.
Schon das „Rheingold“-Vorspiel erklang in wenig mystischen Tönen, die gerade bei diesen Bildern angebracht gewesen wären. Gerade im „Rheingold“ und im 1. Aufzug der „Walküre“ mangelte es an Dynamik, die dem dramaturgischen Spielfluss entsprochen hätte. An einigen Stellen, wie in Loges Monolog, war das Orchester bisweilen nur schwach hörbar. Der 1. Aufzug der „Walküre“ schien sich endlos hinzuziehen, er dauerte eine Stunde und zehn Minuten! Dabei kam es in den Tutti bisweilen zu erheblichen Transparenzverlusten, so im Walküren-Ritt, aber auch in den anderen großen Orchesterzwischenspielen der übrigen Abende. Über den ganzen „Ring“ waren das schwere Blech oft und das Schlagwerk fast immer zu laut. Im 2. Aufzug „Siegfried“ klangen die Celli etwas rustikal und undynamisch. Natürlich litt der musikalische Vortrag am hyperaktiven Bühnengeschehen mit bisweilen störender Geräuschentwicklung. Insbesondere gelangen Nagano die kammermusikalischen Momente in ihrer Feinzeichnung, Transparenz und emotionalen Aufladung.
Neben flüssigen und zeitweise fein herausgearbeiteten Phasen fehlte allerdings oft der große Atem und Spannungsbogen in diesem neuen Münchner „Ring“. Man darf mit Vorfreude gespannt sein, wie der neue und sehr Wagner-kompetente GMD Kirill Petrenko diesen interessanten, wenn auch hier und da durchaus noch verbesserungswürdigen „Ring“ dirigieren wird. Die Münchner können froh sein, dass er an ihr Haus kommt.
Fotos: Wilfried Hösl