WIEN: „Götterdämmerung“ - 8. Juni 2014

Nina Stemme

Nina Stemme

Der emotional berührendste Moment an diesem letzten Abend des ersten „Ring“-Zyklus war wohl jener, als Maestro Jeffrey Tate nach dem finalen Takt des 1. Aufzugs der „Götterdämmerung“ scheinbar erschöpft lange auf dem Notenpult verharrte, bis ihm die umgebenden Orchestermitglieder besorgt vom Podium verhalfen. Zuvor hatte er mit der ihm an diesen „Ring“-Abenden eigenen, in höchstem Masse auf die musikalische Kompetenz der Solisten im Graben setzenden Art und Weise einen spannenden Aufzug dirigiert, große Ruhe ausstrahlend, die Sänger stets im Auge behaltend und, wenn einmal nicht gesungen wurde, der Musik zu einem ausdrucksstarken Primat verhelfend. So waren wunderbar ausschwingende orchestrale Höhepunkte zu erleben, bei insgesamt durchaus zügigen Tempi. Zu jedem Moment ließ Tate die Partitur atmen, arbeitete die feinen Zwischentöne beherzt heraus, so den langsamen Aufbau der Brünnhilde-Motivik nach der Hagen-Wacht im Übergang zum Walküren-Felsen oder das Vorspiel zum 2. Aufzug und die auch psychologisch diesmal ausgezeichnete nächtliche Szene zwischen Alberich und Hagen gleich danach. Ein paar Wackler im Graben im 2. Aufzug waren möglicherweise diesem Erschöpfungszustand geschuldet, und so verwunderte es letztlich nicht, dass Tate den zweiten „Ring“-Zyklus an die Kollegen Ádám Fischer und Cornelius Meister abtrat.

Das Nornenterzett findet in Wien bekanntlich in einem bis heute szenisch fragwürdigen Tannenwäldchen statt, welches an den Weihnachtsbaumverkauf in Wien und anderen Großstädten im Dezember erinnert, auch wenn es draußen über 30 Grad Celsius hat. Unter den drei Nornen fällt Stephanie Houtzeel als Erste stimmlich am meisten auf, gediegen Zoryana Kushpler als Zweite Norn. Ildikó Raimondi ist mit der Dritten Norn sicher nicht in der für sie geeignetsten Rolle ihres Fachs. Stephen Gould schließt als Siegfried nahtlos an seine hervorragenden stimmlichen Leistungen im vorangegangenen „Siegfried“ an, wieder mit einer unglaublichen vokalen Kraft bei voller Klangschönheit und schier nicht enden wollender Ausdauer. Es ist wirklich bemerkenswert, wie der Sänger nach den Anforderungen eines solchen Abends auch noch in den Waldvogelerzählungen stimmlich voll auf der Höhe ist. Dass das Hohe C zu Beginn des 3. Aufzugs nur angedeutet wird, soll dafür verziehen sein. Vergessen wir nicht, dass Gould ursprünglich einmal Bariton war. Nina Stemme ist ihm eine Brünnhilde auf Augenhöhe. Eine der besten Szenen der beiden ist das Vorspiel, in dem sie ihn sinnfällig für das Bestehen der kommenden Herausforderungen salbt und sich dabei die große Emotionalität ihrer Darstellung offenbart, gepaart mit ihrem runden, warm timbrierten und höhensicheren Sopran. Im 2. Aufzug mimt Stemme mit hoher Ausdruckskraft vornehmlich die Rachegöttin.

Attila Jun als dritter der drei bedeutendsten Protagonisten der „Götterdämmerung“ kann da nicht ganz mithalten. Auch wenn sein Bass durchaus farbig klingt und variabel geführt wird, kommt es nicht zum wünschenswerten stimmlichen Ausdruck, der dieser Figur gerecht würde. So wirkt Jun eher etwas bürokratisch und irgendwie zu teilnahmslos, um die ganze Boshaftigkeit der Figur nachhaltig zu vermitteln. Es fehlt auch das ganz große Volumen, welches man von seinen Vorgängern am Ring gewohnt ist. Janina Baechle, noch eine gute Erda an den Vorabenden, scheint mit der Waltraute, die bekanntlich ganz andere sängerische und dynamische Herausforderungen stellt, an der Grenze ihrer stimmlichen Möglichkeiten. Sie mimt diese Rolle äußerst depressiv angesichts der Lage in Walhall.

Nina Stemme 3. Aufzug

Nina Stemme 3. Aufzug

Jochen Schmeckenbecher, an diesem Abend nun auch mit dem „Götterdämmerung“-Alberich in seinem Rollendebut am Ring, gestaltet die Szene mit Hagen musikalisch und darstellerisch einnehmend mit seinem klangvollen und bestens geführten Bassbariton. Wie gut, dass sich durch den Repertoirebetrieb einige der Albernheiten der Premierenzeit abgeschliffen haben. So erleben wir nun nicht mehr diese unerklärlichen Zuckungen, die Tomasz Konieczny als erster Alberich dieser Produktion noch vollziehen musste. Schmeckenbecher kann es offenbar bei der Demonstration eines leichten, nicht unbedingt altersabhängigen Bandscheibenvorfalls belassen. Auch dirigiert Hagen nicht weiterhin überflüssigerweise den Mannenchor und reduziert auch seine Manipulation Gutrunes mit Handzeichen hinter dem Rücken Siegfrieds. Wegen mangelnder oder halbherziger Einweisung des neuen Hagens Attila Jun sind sie nun ohnehin kaum noch in ihrer Bedeutung erkennbar… Caroline Wenborne singt die Gutrune, die sie schon in der Premiere darstellte, ansprechend, und Markus Eiche ist ein stimmlich guter Gunther mit ansprechender Höhe. Das Rheintöchter-Terzett, bestehend aus Simina Ivan als Woglinde, Ulrike Helzel als Wellgunde und Alisa Kolosova (mit Rollendebut am Ring) singt auf Staatsopernniveau, wobei Helzel mit ihrer langjährigen Bayreuth-Erfahrung stimmlich besonders angenehm hervortritt. Die entbehrlichen Badekappen und die manierierten Trocken-Schwimmübungen zwischen den Holzkähnen sind leider immer noch zu erleben. Der Chor und Zusatzchor der Wiener Staatsoper, von Thomas Lang wie immer bestens einstudiert, singt bewährt kräftig und transparent, in dieser Inszenierung glücklicherweise auch mit genügend Raum für eine gute Choreografie ausgestattet. Dieser stand ihm in der unseligen Dresen-Produktion ja nicht zur Verfügung.

Über die Inszenierung dieser Bechtolfschen „Götterdämmerung“ wurde ja schon einiges gesagt. Mit den Bühnenbildern von Rolf Glittenberg zeichnet sie sich am meisten von allen drei Abenden durch repertoiregerechte pragmatische Konturlosigkeit und bisweilen gar lieblose Gefälligkeit aus. Vielmehr ist dazu eigentlich nicht mehr zu sagen…

Fotos: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Klaus Billand

Der Ring des Nibelungen

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