Zürich: Die Walküre – Premiere am 18. September 2022
Andreas Homokis „Ring“ zwischen klassizistischer Eleganz und Urwald
Oper Zürich am Abend der "Walküre"
Für den Intendanten der Oper Zürich, der schon im „Rheingold“ die seiner Meinung nach vornehmliche Rolle der Frauen in der gedanklichen Struktur und Ästhetik eines Kammerspiels in Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ à la Henrick Ibsen hervorhob, ist die „Die Walküre“ mit einer Frau im einzigen Werk-Titel geradezu prädestiniert für die Unterstreichung der besonders wichtigen Rolle der Frauen in der Tetralogie. Damit meint er insbesondere „die drei großen und sehr differenzierten Frauenfiguren“ Brünnhilde, Fricka und Sieglinde.
Siegmund im 1. Aufzug
Dabei fängt es aber erst mal völlig unkonventionell ganz gegenteilig an. Denn schon während des Vorspiels sehen wir Wotan als stummen Macher der Szene. Er löst Donnerschläge aus, reicht Sieglinde erst das Wasser, dann den Met für Siegmund – der seinen Vater jedoch nicht wahrnimmt – und stößt schließlich das Schwert in den Stamm der bereits verkokelten Weltesche.
Wotan im 2. Aufzug
Chronologie zählt offenbar wenig bei Homoki, der aber im weiteren Verlauf ansprechendes story telling betreibt, welches sich wohltuend von den kürzlich in Berlin und Bayreuth von Wieler, Morabito und Viebrock einerseits und Valentin Schwarz andererseits erlebten Neu-Deutungsversuchen des Wagnerschen Oeuvres abhebt. Dabei hält Homoki sein Motto, dem Zuschauer keine fertige Deutung zu servieren, sondern ihn einzuladen, seine eigene Assoziationen zu finden, weiterhin erfolgreich aufrecht.
Wotan im 2. Aufzug
Im aus dem „Rheingold“ schon bekannten, bisweilen allerdings allzu oft und schnell rotierenden Bühnenbild von Christian Schmidt, der auch die passenden Kostüme gestaltete, sieht man die elementaren Requisiten in klassizistischen hellen Wänden, so die Weltesche, an der sich Hundings Mannen – wie er – in wüsten Fellmänteln versammelt haben, dann einen Tannenwald für den 2. Aufzug und schließlich statt des Feuerzaubers eine Art Meteorit, auf dem sich Brünnhilde zum Schlaf bettet und der dann auf Wotans Geheiß innerlich zu glühen beginnt. Natürlich darf der hochherrschaftliche Saal Walhalls mit Goldmöblierung und schon aus dem Rahmen gefallenen Bild einer romanischen Burg nicht fehlen, von dem aus Wotan mit klassischem Speer agiert.
Wotan mit Brünnhilde im 2. Aufzug
Das alles im diesmal recht eindimensionalen Licht von Franck Ewin. Warum der letale Kampf zwischen Siegmund und Hunding schließlich in diesem Saal stattfindet und nicht im angrenzenden Tannenwald, entzieht sich einer einsichtigen Begründung. Die Walküren kommen in fliegenden weißen Gewändern mit bronzenen Pferdeköpfen herein – auch in dieser Inszenierung mal etwas Neues, denn das ständig rotierende Mehrzimmer-Bühnenbild hatte schon Matis Neidhardt für den eindrucksvollen Oldenburger „Ring“ von Paul Esterhàzy konzipiert.
Siegmund mit Sieglinde im 2. Aufzug
Hervorzuheben ist jedenfalls Homokis exzellente Personenführung, mit der er allen Protagonisten einen prominenten Stellenwert gibt und das Stück im Prinzip aus den Figuren heraus interpretiert. Dreh- und Angelpunkt ist hierbei die Szene Wotan-Fricka und der große Wotan-Monolog im 2. Aufzug, dessen Dialog-Charakter mit Brünnhilde er äußerst wirkungsvoll inszeniert. Dazu steht auch ein sehr gutes Sängerdarsteller-Ensemble bereit. Camilla Nylund mit ihrem Rollen-Debut als Brünnhilde beeindruckt schon durch ein sängerisch edel gestaltetes „Hojotoho“ und legt im weiteren Verlauf eher Wert auf die sängerische als auf die dramatische Komponente der Rolle. Dabei kommt ihre gute Mimik und Ausdruckskraft zu großer Wirkung.
Beginn 2. Aufzug
Tomasz Konieczny dürfte in seiner darstellerischen, emotionalen Intensität als Wotan derzeit kaum zu überbieten sein, mit der auch der lange Monolog äußerst intensiv gelingt. Seine Stimme allerdings lässt die Qualitäten eines Bassbaritons für den „Walküre“-Wotan von der Breite und Resonanz her vermissen. Immer wieder werden Grenzen zur Nasalität gestreift, Spitzentöne klingen zu grell, zu weiß, auch wenn sie notenmäßig stets erreicht werden. Eric Cutler absolviert ein beachtliches Rollendebut als Siegmund mit einem zur Rolle bestens passenden baritonal unterlegten Tenor und intensivem Spiel bei perfekter Diktion.
Walkürenritt
Daniela Köhler gibt eine engagierte Sieglinde, die bei Homoki sofort erkennt, dass mit Siegmund ihre Rettung naht und sie ihn somit gleich wild küsst – Frauenpower eben. Köhlers Sopran hingegen ist recht hell und ihr Timbre etwas eindimensional, sodass die stimmliche Wärme der Sieglinde und damit die auch vokale Intensität ihrer Vereinigung mit Siegmund nicht recht zum Tragen kommt. Patricia Bardon als Fricka hat hingegen ein warmes kraftvolles Mezzo-Timbre, mit dem sie die Fricka vor allem sängerisch sanft gestaltet, aber umso bestimmter und überzeugender in der Sache ist. Deshalb auch die große Wirkung ihres Dialogs mit Wotan. Christof Fischesser gibt den Hunding mit einem klar artikulierten prägnanten Bass als betrogener Ehemann. Auch Erda ist einmal zu sehen, während des Monologs in einem anderen Zimmer… Das Walküren-Oktett singt und agiert sehr engagiert.
Finale 3. Aufzug
Gianandrea Noseda ermuntert die Philharmonia Zürich wie schon im „Rheingold“ zu einem intensiven Wagner-Klang, bei großer Transparenz der Gruppen und beachtlicher Konzentration auf instrumentale Soli. Stets ist die Verbindung mit dem bewegten Geschehen auf der Bühne gewahrt. Nur – wie schon im „Rheingold“ – sollte man die Entfaltung der Bass-Tuba reduzieren, wie überhaupt das schwere Blech besser dimensionieren, die immer wieder die guten Streicher zudeckten. Denn es sitzt ein großes Orchester in einem relativ kleinen Haus…
Fotos: Monika Rittershaus
Klaus Billand