BAYREUTH/Festspiele: „Der Ring des Nibelungen“ als Kinderoper - WA 25. Juli 2018

Äußerst gelungenes Projekt!

Immerhin läuft die Kinderoper in Bayreuth schon seitdem Katharina Wagner die Festspielleitung übernommen hat. Und noch nie habe ich eine erlebt. Seit mittlerweile neun Jahren gibt es diese lobenswerte Initiative nun schon, und sie ist eine Institution geworden, und zwar eine sehr erfolgreiche! Anders als bei manchen Aufführungen im Festspielhaus reißt man sich hier auf der Probebühne II um die Karten wie vor einiger Zeit, als es auch oben nicht genügend davon gab.

Dieses Jahr stand eine WA des „Ring des Nibelungen“ in der Fassung von Katharina Wagner und Markus Latsch in der Regie von David Merz und mit der Dramaturgie von Ruth Asralda auf dem Programm, und zwar zehn Mal bis zum 4. August mit einer geschlossenen Zusatzvorstellung für den Hauptsponsor 310Klinik Bayreuth am 5. August. 310Klinik ist auch Hauptsponsor der Bayreuther Festspiele. Die musikalische Bearbeitung lag in den Händen von Marko Zdralek. Das Bühnenbild schuf Julius Theodor Semmelmann. Es besteht aus einem braunen Holz-Kubus, der mit zwei Türen nach vorn geöffnet wird, und zwar von den Akteuren selbst. Es ist sozusagen eine „Ring“-Box, in der alle relevanten Szenen mit wenigen, aber aussagekräftigen Requisiten gespielt werden.

So sieht man die Burg Walhall hoch auf einem Felsen, die dunklen Klüfte von Nibelheim mit goldenen Einschlüssen, oder die Weltesche in Hundings Zimmer mit dem Schwert Nothung darin. Sogar ein Brünnhilde im Schlaf umgebender Feuerkreis wird sichtbar, aus Bühnennebel zwar und einigen Düsen am Boden, aber durchaus eindrucksvoll. Beim Wogen des Rheins mit langen blauen Tuchbahnen durch die Rheintöchter dürfen sogar die Kinder in der ersten Reihe mit wogen! Für das gute Lichtdesign zeichnete Peter Younes verantwortlich. Die sehr fantasievollen Kostüme wurden von Ina Kromphart geschaffen und weisen natürlich einige auf die Kinder und ihre Vorstellungswelt abgestimmte Besonderheiten auf. Der Studiengang Maske – Theater und Film, Theaterakademie August Everding München, schuf das zum Teil die kindliche Fantasiewelt ansprechende Maskendesign. Besonders stachen die beiden Riesen Fafner und Fasolt hervor, die in der Tat als riesige plumpe Puppen auf die Bühne kommen und beim Sprechen sogar den Mund bewegen. Sie machten bei vielen Kindern besonderen Eindruck.

Man spielte alle vier Stücke reduziert auf ihre wesentlichen Inhalte und Aktionen, natürlich auch mit einer wesentlichen reduzierten Zahl an Protagonisten. Der „Götterdämmerung“-Chor fällt ganz weg. Es beginnt mit dem „Rheingold“-Vorspiel. Das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt (Oder) (GMD Howard Griffiths, Intendant: Pater Sauerbaum) musizierte unter der musikalischen Leitung von Azis Sadikovic mit nur 30 Musikerinnen und Musikern fulminant und machte einmal mehr klar, dass ein „Ring“ in einem kleinen Haus auch mit einer weit geringeren Orchesterbesetzung gut klingen kann. Bestens gelungen, und somit oft nur dem Kenner der „Ring“-Partitur vernehmlich, waren die gut gefügten musikalischen Übergänge bei den Abkürzungen. Da hätte sich der 2012 im Teatro Colón in Buenos Aires aufgeführte sogenannte „Colón-Ring“ von 7,5 Stunden Gesamtlänge mit Pausen etwas abschauen können.

Es gibt viel Ernstes, aber auch viel Humor in dieser sehenswerten Produktion. So diverse Dialoge, etwa zwischen Wotan und Fricka, die ihrem Gatten ganz profan die Problematik der Lage erklärt. Oder der Moment, als Loge nach dem Fluch Alberichs diesem einfach ins Gesicht schleudert „Hau‘ ab!“. Die Einfachheit dieser Sprache kam bei den Kindern an und machte das Stück verständlicher. Man sparte auch etwas mit den Gewaltszenen. So war der Mord Fafners and Fasolt nicht zu sehen. Umso härter schlug Hunding dann allerdings bei Siegmund zu. Schön heraus gearbeitet wurde auch die – freilich platonisch – intime Beziehung zwischen Siegfried und dem Waldvogel, die den Kindern vor Augen führte, dass Ehrlichkeit und Authentizität Tugenden sind, die einen weiter bringen. Insofern wurde hier auch eine gewisse pädagogische Komponente deutlich. Last but not least war es auch wichtig, die Kinder auf gewisse Art und Weise in das Stück einzubeziehen. Wichtiger als das gemeinsame Rhein-Wogen mit Tuchbahnen war in diesem Sinne beispielsweise die Frage, die Wotan im „Rheingold“ an sie richtete: „Soll ich jetzt diesen Ring abgeben?!“ Und es kam ein schallendes JA! Ein starker Moment!

Auch sängerisch war dieser „Ring“ für Kinder ein Ohrenschmaus. Der bewährte finnische Bassbariton Jukka Rasilainen sang einen prägnanten und agilen Wotan und Wanderer. Simone Schröder war mit ihrem kraftvollen Mezzo eine beeindruckenden Fricka und Flosshilde. Daniela Köhler sang eine stimmstarke Brünnhilde, die auch viel Emotion vermitteln konnte. Vincent Wolfsteiner war ein ebenso kraftvoll singender Siegmund und dann auch Siegfried, der hier besonders humorvolle Noten setzte und in einen guten Dialog mit den Kindern trat. Stefan Heibach gab einen gewitzten Loge mit feuriger Irokesen-Mähne. Er bediente später im Orchester auch mal das Becken.

Armin Kolarczyk sang einen klangvollen Alberich, der die besonderen charakterlichen Eigenheiten dieser Figur bestens zu den Kindern brachte. Ebenso war der Mime von Paul Kaufmann ein Erlebnis. Mit eindrucksvollem Bass sang Sebastian Pilgrim den Fasolt und den Hunding. Timo Riihonen stand ihm an Bassgewalt und dazu noch erhöhter Finsternis als Hagen und Fafner nicht nach. Ji Yoon gab eine liebliche Freia und zwitscherte auch den Waldvogel klangvoll. Christiane Kohl war eine einnehmende Sieglinde und auch eine gute Woglinde, ebenso wie Mareike Morr eine stimmschöne Wellgunde. Viele der Sängerinnen und Sänger sangen oder singen ja auch auf der großen Bühne.

Nach über zwei Stunden mit einer Pause, in der es nicht einmal einen Stand mit Mineralwasser-Verkauf gab, ging der „Ring“ für Kinder über den Bühne bzw. durch den Kubus. Man konnte keinem der Kinder irgendeine Ermüdung ansehen. Sie rissen nach Ende den Billetteuren die mit kindergerechten Texten versehenen bilderbuchartigen Programme aus den Händen. Teils auf dem Boden sitzend begannen sie unmittelbar mit der Lektüre, als hätte es eine neue Ausgabe von Asterix und Obelix gegeben. Sie konnten auch eine „Bayreuther Ringkiste“ im Papierformat basteln.

In Pausen-Interviews berichteten mir einige, dass ihnen die Szenen mit den Riesen sehr gut gefallen hatten, ein Mädchen hatte sogar etwas Angst vor ihrer Riesengröße. Alle fanden es spannend und auch gut verständlich. Einige meinten auch, dass man für eine solch gute sängerische und darstellerische Leistungen wohl sehr viel gearbeitet und geprobt haben müsse. Offenbar gefiel einigen Kindern auch die gelegentliche große Lautstärke der Musik. Das Orchester saß ja unmittelbar neben dem Kubus. Wie ich später hörte, wurden die meisten in der Schule schon auf diesen „Ring“ eingestimmt, kamen also nicht unvorbereitet.

Inwieweit solche Erfahrungen aus einigen Kindern dann später regelmäßige Opernbesucher machen, bleibt der Zukunft überlassen. Sie waren sich da selbst (noch) nicht sicher. Ich habe den Eindruck, dass die Kinderoper mit den Eltern zunächst einmal ein Event für sich ist und nicht automatisch erwartet werden kann, dass sie aus den Kleinen die späteren Opernbesucher macht. Hoffen wir es jedoch, denn sie wären im Zeitalter der Handy-gesteuerten Sinnentleerung und der damit verbundenen De-Intellektualisierung mehr als gefragt.

Fotos: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele; letztes Foto: Klaus Billand

Klaus Billand

Der Ring des Nibelungen

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