Landshut: Niederbayerische Erstaufführung des Siegfried – 6. November 2022

Erfolgreiches Krisenmanagement bei Sängerausfall

Siegfried mit Mime 1. Aufzug

Siegfried mit Mime 1. Aufzug

Beim Presseempfang vor Beginn des „Siegfried“ im Rahmen der niederbayerischen Erstaufführung des „Ring des Nibelungen“ ließ die Ansage des Intendanten und Regisseurs, Stefan Tilch, aufhorchen, dass der Sänger des Siegfried, Michael Heim, schon seit Tagen an einer Erkältung litt, aber seine Stimmbänder nicht angegriffen schienen. So hatte er auch die Generalprobe nicht gesungen und sich bereit erklärt, die Premiere zu retten. Im Nachhinein wäre es bei dieser Problematik wohl angezeigt gewesen, einen zweiten Sänger in Bereitschaft zu haben, der gegebenenfalls von der Seite hätte singen können. Denn Michael Heim musste nach guter vokaler Leistung bis dahin schwersten Herzens mitten im 2. Aufzug aufgeben.

So schneidet Siegfrieds Schwert!

So schneidet Siegfrieds Schwert!

Man erklärte die Aufführung für abgebrochen unter Rückgabe der Eintrittsgelder, wollte sich aber 20 Minuten beraten, ob und wie es dennoch weitergehen könnte. Und da kam man auf eine großartige Idee: Tilch: „Wir haben beschlossen, The best of Act 3 zu spielen.“

Wanderer mit Alberich 2. Aufzug

Wanderer mit Alberich 2. Aufzug

Und so konnte die Produktion weiter ihre so spezielle Interpretation des Wagnerschen Mythos entfalten, ohne den es bei einer dem Gesamtkunstwerk-Gedanken des Komponisten folgenden Interpretation ja kaum geht. Schon im 1. Aufzug, der im Bühnenbild von Karlheinz Beer mit einigen modernen Utensilien durchsetzt ist, kommt eine interessante Spannung zwischen Mythos und Aktualität auf, die sich in den Videos von Florian Rödl widerspiegelt. Jeff Martin gibt mit seinem dunkel gefärbten Charaktertenor einen persönlichkeitsstarken Mime.

Wache Erda, erwache...

Wache Erda, erwache...

Wieder spielt die große Bibliothekswand aus „Rheingold und „Walküre“ eine westliche Rolle beim Eröffnen der Aufzüge und einiger Szenen. Im 2. Aufzug bildet eine Drohne mit einer gewissen Aktualisierung der Szene auf den Videos die Position der jeweiligen Akteure ab und deutet so die kommenden Begegnungen an. Der stimmlich erstklassige Stefan Stoll ist als Alberich mit seinem jungen Sohn Hagen beschäftigt, den er übel traktiert, womit man wohl dessen spätere Boshaftigkeit biografisch begründen will – keine schlechte Idee.

Brünnhilde mit Siegfried im Finale

Brünnhilde mit Siegfried im Finale

Auch die Kostüme von Ursula Beutler überzeugen sowohl geschmacklich wie dramaturgisch. Endlich mal ein „Siegfried“ ohne die leidigen Rucksäcke! Während der Drachenkampf also entfällt, entfacht die Wanderer-Erda-Szene im 3. Aufzug eine umso intensivere theatralische Wirkung mit dem wieder begeisternden Stephan Bootz als jung-dynamischem Wanderer mit dunkel timbriertem Bassbariton und einnehmendem Spiel sowie der sehr guten Mezzosopranistin Tiina Penttinen als attraktiver junger Erda, an deren weitflächigem Rock die Nornen weben. Im Hintergrund erkennt man im Nebel das lodernde Feuer auf dem Brünnhildenfelsen. Peggy Steiner gestaltet mit dem nur flüsternden Michel Heim ein mitreißendes Finale mit ihrem sicher geführten jugendlich dramatischen Sopran. Die Verstärkung durch Microports war diesmal perfekt.

Schlussapplaus alle

Schlussapplaus alle

Basil H. F. Coleman dirigierte wieder die mit Musikern aus anderen Orchestern Bayerns aufgestockte Niederbayerische Philharmonie, die unter seinem auf große Dynamik und Intensität angelegten Dirigat einen kraftvollen Wagner-Sound entfaltete. Man ist in Niederbayern nun auch musikalisch voll in Wagners „Ring“ angekommen. Am 30. April 2023 kommt der Abschluss mit der „Götterdämmerung“.

Fotos: Peter Litvai/Landestheater Niederbayern 1-5; K. Billand 6

Klaus Billand

Der Ring des Nibelungen

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